Eine
andere Welt ist möglich
Nach
dem Zusammenbruch sozialistischer Systeme feiert der Kapitalismus ungebremst
seinen Sieg. Die reichen Staaten werden immer reicher, die armen immer ärmer.
Werte wie Solidarität, Gemeinschaft und Gerechtigkeit haben in einer
globalisierten Welt keinen Platz.
Doch
neuerdings haben sie wieder eine Lobby:
„ATTAC“.
Der
Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter hat in einem Artikel der Zeitschrift
„Psychologie heute“ die neue Bewegung der Globalisierungsgegner aus seiner
Sicht beschrieben und die Motive ihrer Mitglieder erforscht.
Das
möchte ich kurz vorstellen, um danach die Münsteraner „Attactivisten“ zu
befragen, ob sie sich darin wieder gefunden haben.
Horst-Eberhard
Richter:
Das
Ziel der neuen Bewegung ist ganz klar:
Es
darf bei der Globalisierung nicht so ungerecht zugehen wie bisher.
Die
Kerngruppe der ernsthaften Kritiker nennt sich: „ATTAC“, hat sich in
Windeseile von Frankreich aus bereits über 30 Länder verbreitet und hat
mittlerweile über 60.000 Mitglieder. Laufend bilden sich in Deutschland neue
Regionalgruppen.
Sie
wollen schlicht und einfach eine gerechtere Welt.
Ein
Hauptangriff richtet sich gegen internationale Institutionen, die von ihrer
Struktur her deutlich mehr den Interessen des Geldes als den Bedürfnissen der
Menschen dienen.
Einige
ihrer Forderungen:
Steuer
auf Devisengeschäfte (Tobinsteuer),
Ausschaltung
der Steueroasen,
Entschuldung
der armen Länder,
Demokratisierung
der Welthandelsorganisation (WTO), des IFW und der Weltbank.
In
die Idee der gerechteren Welt passt aber noch viel mehr hinein:
Pazifismus,
Menschenrechte, Frauenbewegung, Gewerkschaftsrechte, Umweltschutz.
Insofern
hat es nicht verwundert, dass der Berliner „ATTAC“-Kongress im Oktober 2001
mit dem Motto: „Eine andere Welt ist möglich“ überschrieben war.
Die
Offenheit ihrer Bewegung ist ihr Charakteristikum:
Miteinander
lernen, einander zuhören, sich nicht voreilig eingrenzen
(
Hier darf ich mit Verlaub einen Vergleich zur FI Nottuln ziehen, die heute
vermutlich nicht mehr existieren würde, hätte sie sich nicht nach dem Raketenzählen
auch anderen gesellschaftlichen Bereichen zugewandt).
„ATTAC“
will nicht wie die 68er oder deren militante Nachfolger in der RAF den
Kapitalismus stürzen, aber ihn reformieren, ihn humanisieren. Dazu sucht man
sich konkrete Missstände aus, an denen man praktisch ansetzen kann.
Zu
der Frage, woher nun die enorme Anziehungskraft für die neue Bewegung, gerade
jetzt, kommt, hat H.-E. Richter folgende Erklärung:
Offenbar,
sagt er, nicht durch dramatische äußere Ereignisse. Sondern aus dem Innern der
Menschen. Die spüren – oder hören es sogar aus dem Mund hoher
Verantwortlicher, dass den Oberen das Steuer der Geschicke mehr und mehr aus den
Händen gleitet. Das sich ausbreitende Misstrauen gleicht demjenigen der Kinder,
die sich der Verlässlichkeit ihrer Eltern nicht mehr sicher fühlen.
Gerechtigkeit
soll herrschen. Aber die kann man nicht schaffen, wenn man sie nicht in sich
hat. Wenn man nicht von ihrer Unerlässlichkeit durchdrungen ist.
Dann
stellt er fest, dass nach dem jahrzehntelangen Trend zur Ich-Gesellschaft die
Menschen wieder stärker ihren Zusammenhang spüren (durch Studie verfestigt).
Sie
fühlen sich mit sich selbst schlicht besser im Einklang, wenn sie sich für ihr
Gerechtigkeitsgefühl einsetzen. Es ist überhaupt vor allem ein „Für“, das
sie leitet:
Viele
von denen, die sich bei „ATTAC“ finden, bringen nach seinem Eindruck anfangs
vor allem diese Hoffnung mit, für sich einen Sinn zu finden im Einsatz FÜR
Gerechtigkeit in einer Welt, die von der Rivalität eines letztlich ziellosen
Erfolgswettbewerbs angetrieben wird, in dem alle nur aufpassen müssen,
mitzuhalten und nicht verloren zu gehen.
Einschub:
Zitate aus ATTAC-Buch S. 66 und 67
Es
gibt eine Reihe, auch in der Öffentlichkeit geäußerter Vorurteile gegen die
„Attac“-Bewegung. Deshalb stellt Richter
folgendes klar:
Die
Gruppen sind keine Ansammlungen von emanzipationsgeschädigten Ideologen,
Amerikahassern oder Mitgliedern diskriminierter Minderheiten. Im Unterschied zu
den 68ern, mit denen man sie gern vergleicht, sind sie zum großen Teil keine
von antiautoritärem Hass besessenen Rebellen, sondern überwiegend sehr
besonnene, lernbereite junge Leute mit einer kritischen sozialen Sensibilität,
aber zugleich zu engagierter Einmischung fest entschlossen. Das ist, was die
Prognose der Durchhaltefähigkeit anbetrifft, von erheblicher Bedeutung.
Sein
Ausblick:
Wenn
ATTAC als Kerngruppe der Globalisierungskritiker das Heft in der Hand behält,
kann man erwarten, dass die neue Bewegung weder als flüchtiges Strohfeuer
verlischt, noch – von
Randerscheinungen abgesehen – in radikale Militanz ausartet. Die
Spaltungsmechanismen der derzeitigen Form der Globalisierung arbeiten zu
offensichtlich, als dass der Bewegung ihre Anhänger bald wieder davonlaufen könnten.
Viel wird indessen auch von dem Grad der Unterstützung abhängen, die noch
gewonnen werden kann.
So
weit Horst-Eberhard Richter und genau für diese Unterstützung sind wir heute
Abend hier, und wir können gespannt sein, ob die „Attactivisten“ aus Münster
das Gesagte bestätigen und wie sie
es ergänzen können.