Udo Hegemann                                        Nottuln, 13.05.2002

Kurzreferat über Gedanken von Horst-Eberhard Richter

Eine andere Welt ist möglich

Nach dem Zusammenbruch sozialistischer Systeme feiert der Kapitalismus ungebremst seinen Sieg. Die reichen Staaten werden immer reicher, die armen immer ärmer. Werte wie Solidarität, Gemeinschaft und Gerechtigkeit haben in einer globalisierten Welt keinen Platz.

Doch neuerdings haben sie wieder eine Lobby:

„ATTAC“.

Der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter hat in einem Artikel der Zeitschrift „Psychologie heute“ die neue Bewegung der Globalisierungsgegner aus seiner Sicht beschrieben und die Motive ihrer Mitglieder erforscht.

Das möchte ich kurz vorstellen, um danach die Münsteraner „Attactivisten“ zu befragen, ob sie sich darin wieder gefunden haben.

Horst-Eberhard Richter:

Das Ziel der neuen Bewegung ist ganz klar:

Es darf bei der Globalisierung nicht so ungerecht zugehen wie bisher.

Die Kerngruppe der ernsthaften Kritiker nennt sich: „ATTAC“, hat sich in Windeseile von Frankreich aus bereits über 30 Länder verbreitet und hat mittlerweile über 60.000 Mitglieder. Laufend bilden sich in Deutschland neue Regionalgruppen.

Sie wollen schlicht und einfach eine gerechtere Welt.

Ein Hauptangriff richtet sich gegen internationale Institutionen, die von ihrer Struktur her deutlich mehr den Interessen des Geldes als den Bedürfnissen der Menschen dienen.

Einige ihrer Forderungen:

Steuer auf Devisengeschäfte (Tobinsteuer),

Ausschaltung der Steueroasen,

Entschuldung der armen Länder,

Demokratisierung der Welthandelsorganisation (WTO), des IFW und der Weltbank.

In die Idee der gerechteren Welt passt aber noch viel mehr hinein:

Pazifismus, Menschenrechte, Frauenbewegung, Gewerkschaftsrechte, Umweltschutz.

Insofern hat es nicht verwundert, dass der Berliner „ATTAC“-Kongress im Oktober 2001 mit dem Motto: „Eine andere Welt ist möglich“ überschrieben war.

Die Offenheit ihrer Bewegung ist ihr Charakteristikum:

Miteinander lernen, einander zuhören, sich nicht voreilig eingrenzen

( Hier darf ich mit Verlaub einen Vergleich zur FI Nottuln ziehen, die heute vermutlich nicht mehr existieren würde, hätte sie sich nicht nach dem Raketenzählen auch anderen gesellschaftlichen Bereichen zugewandt).

„ATTAC“ will nicht wie die 68er oder deren militante Nachfolger in der RAF den Kapitalismus stürzen, aber ihn reformieren, ihn humanisieren. Dazu sucht man sich konkrete Missstände aus, an denen man praktisch ansetzen kann.

Zu der Frage, woher nun die enorme Anziehungskraft für die neue Bewegung, gerade jetzt, kommt, hat H.-E. Richter folgende Erklärung:

Offenbar, sagt er, nicht durch dramatische äußere Ereignisse. Sondern aus dem Innern der Menschen. Die spüren – oder hören es sogar aus dem Mund hoher Verantwortlicher, dass den Oberen das Steuer der Geschicke mehr und mehr aus den Händen gleitet. Das sich ausbreitende Misstrauen gleicht demjenigen der Kinder, die sich der Verlässlichkeit ihrer Eltern nicht mehr sicher fühlen.

Gerechtigkeit soll herrschen. Aber die kann man nicht schaffen, wenn man sie nicht in sich hat. Wenn man nicht von ihrer Unerlässlichkeit durchdrungen ist.

Dann stellt er fest, dass nach dem jahrzehntelangen Trend zur Ich-Gesellschaft die Menschen wieder stärker ihren Zusammenhang spüren (durch Studie verfestigt).

Sie fühlen sich mit sich selbst schlicht besser im Einklang, wenn sie sich für ihr Gerechtigkeitsgefühl einsetzen. Es ist überhaupt vor allem ein „Für“, das sie leitet:

Viele von denen, die sich bei „ATTAC“ finden, bringen nach seinem Eindruck anfangs vor allem diese Hoffnung mit, für sich einen Sinn zu finden im Einsatz FÜR Gerechtigkeit in einer Welt, die von der Rivalität eines letztlich ziellosen Erfolgswettbewerbs angetrieben wird, in dem alle nur aufpassen müssen, mitzuhalten und nicht verloren zu gehen.

Einschub:         Zitate aus ATTAC-Buch S. 66 und 67

Es gibt eine Reihe, auch in der Öffentlichkeit geäußerter Vorurteile gegen die „Attac“-Bewegung. Deshalb stellt  Richter folgendes klar:

Die Gruppen sind keine Ansammlungen von emanzipationsgeschädigten Ideologen, Amerikahassern oder Mitgliedern diskriminierter Minderheiten. Im Unterschied zu den 68ern, mit denen man sie gern vergleicht, sind sie zum großen Teil keine von antiautoritärem Hass besessenen Rebellen, sondern überwiegend sehr besonnene, lernbereite junge Leute mit einer kritischen sozialen Sensibilität, aber zugleich zu engagierter Einmischung fest entschlossen. Das ist, was die Prognose der Durchhaltefähigkeit anbetrifft, von erheblicher Bedeutung. 

Sein Ausblick:

Wenn ATTAC als Kerngruppe der Globalisierungskritiker das Heft in der Hand behält, kann man erwarten, dass die neue Bewegung weder als flüchtiges Strohfeuer verlischt,   noch – von Randerscheinungen abgesehen – in radikale Militanz ausartet. Die Spaltungsmechanismen der derzeitigen Form der Globalisierung arbeiten zu offensichtlich, als dass der Bewegung ihre Anhänger bald wieder davonlaufen könnten. Viel wird indessen auch von dem Grad der Unterstützung abhängen, die noch gewonnen werden kann.

So weit Horst-Eberhard Richter und genau für diese Unterstützung sind wir heute Abend hier, und wir können gespannt sein, ob die „Attactivisten“ aus Münster das Gesagte bestätigen  und wie sie es  ergänzen können.