Friedensinitiative Nottuln
Robert Hülsbusch
Nottuln, den 11.1.2007
Keine Kampfflugzeuge in den Süden Afghanistans
Lieber Karl Schiewerling,
die Nato hat sechs deutsche Tornado-Flugzeuge angefordert für einen Einsatz in
Südafghanistan. Peter Struck ließ schon keinen Zweifel daran, dass die
Bundesregierung dieser Anfrage nachkommen will. Ein entsprechendes Angebot wolle
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am 26. Januar auf einer
Sondersitzung der Nato-Außenminister in Brüssel unterbreiten.
Wir bitten dich dringend, deinen Einfluss in der Fraktion und in den
Führungsgremien der CDU geltend zu machen, damit die CDU diesen Einsatz ablehnt.
Mit der Genehmigung eines Tornado-Einsatzes würde die Bundesrepublik eine
weitere Rote Linie überschreiten. Schon der Beteiligung am Krieg gegen
Afghanistan war ein Überschreiten des Rubikons und falsch. Da sind wir
möglicherweise unterschiedlicher Meinung.
Ein Tornado-Einsatz im Südafghanistan würde die Bundeswehr noch weiter in den
US-Krieg gegen den Terror verstricken. Wie verheerend sich dieser Krieg
entwickelt, sieht man an den Kämpfen in Süden Afghanistans und an der
Entwicklung dieses geschundenen Landes insgesamt. Angelika Claussen hat diese
Entwicklung in der FR noch mal auf den Punkt gebracht – siehe unten.
Lassen wir uns nicht blenden. Ein Tornado-Einsatz ist kein ziviler Einsatz. Er
ist Kampfeinsatz. Die deutschen Soldaten werden die Koordinaten liefern für die
Einsätze der US-Armee. Und die Menschen auf dem Boden werden das genauso
verstehen. Wenn die Bundeswehr jetzt noch im Norden ein entsprechendes Ansehen
hat – schwindend -, so steht dieses durch einen solchen Beschluss ganz auf dem
Spiel.
Die Irakrede von Bush zeigt auch dem letzten, welch Geistes Kind diese
US-Regierung ist und was der Krieg gegen den Terror für ein verlogener Mist ist,
der zudem die Welt an den Abgrund bringt. Klare Worte und Abgrenzung sind hier
gefragt.
Dies soll genügen, um unseren Appell an dich deutlich zu machen.
Mit freundlichem Gruß
Für die FI Nottuln
Robert Hülsbusch
URL: http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/meinung/standpunkte_aus_der_zeitung/?em_cnt=1037891
Aufbau statt Tornados
Was Afghanistan braucht
VON ANGELIKA CLAUSSEN
Auf eine Nato-Anfrage hin will die Bundesregierung sechs Tornados in den
umkämpften Süden Afghanistans entsenden. Die dadurch ausgelöste Diskussion über
die Auslegung des Bundeswehr-Mandats täuscht darüber hinweg, dass die
Isaf-Mission schon jetzt ein Misserfolg ist: Fünf Jahre nach dem Beginn des
Krieges sind die USA und ihre Verbündeten gescheitert, die humanitäre Situation
zu verbessern und den Afghanen den Weg zur Demokratie zu ebnen.
Ein nüchterner Blick auf die wenigen Informationen, die UN-Organisationen über
Afghanistan veröffentlichen, zeigt die katastrophale Situation: In der
Hauptstadt Kabul sind etwa 50 bis 70 Prozent der 2,5 Millionen Bewohner
arbeitslos. Die meisten von ihnen müssen mit einem Einkommen von weniger als
einem Dollar pro Tag auskommen. Dementsprechend liegt das durchschnittliche
Jahreseinkommen pro Person in Afghanistan bei 200 Dollar. Armut und Zerstörung
der Infrastruktur, mangelhafte Ernährung, schlechte hygienische Zustände und ein
durch zwei Jahrzehnte Bürgerkrieg kollabiertes Gesundheitssystem spiegeln sich
in der Bevölkerungsstatistik wider: Die Lebenserwartung der afghanischen Frauen
beträgt kaum 47 Jahre (Männer: 48). Von 1000 lebend geborenen Kindern in
Afghanistan sterben 256 bis zum fünften Lebensjahr (Vergleich Irak: 131/1000).
Von 100 000 Müttern sterben 1600 während oder kurz nach der Entbindung (zum
Vergleich: Irak auf dem Höhepunkt der UN-Sanktionen 370/100 000, Zentralafrika:
1300/100000). Der Grund für diese immens hohe Müttersterblichkeit liegt darin
begründet, dass Männer aus Angst vor den Fundamentalisten ihre Frauen nicht zu
den Gesundheitsstationen gehen lassen. Das Leid der Kriegswitwen lässt sich
dagegen nicht in Zahlen beschreiben: Laut einer Umfrage von Unicef sehen rund 30
000 Witwen in Kabul im Selbstmord ihre einzige Zukunftsperspektive.
Im Herbst dieses Jahres warnte die internationale Hilfsorganisation Christian
Aid, dass 2,5 Millionen Afghanen von Hungersnot bedroht sind. Der Grund: Dürre
und ausbleibende Ernten. Das Leiden der Bevölkerung wird durch den jahrelangen
Kriegszustand immer weiter verschärft. Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissars
müssen etwa 15 000 Familien wegen Kampfhandlungen aus den Provinzen Kandahar,
Uruzgan und Helmand fliehen.
Im Kontrast dazu stehen die Ausgaben für den Kampf gegen den Terror in
Afghanistan: 9,6 Milliarden US-Dollar kostete dieses Jahr allein der Einsatz der
US-Streitkräfte in Afghanistan. Zwischen 2002 und 2005 bezahlte die deutsche
Bundesregierung rund 1,4 Milliarden Euro (so genannte einsatzbedingte
Zusatzausgaben), um "am Hindukusch die Sicherheit Deutschlands zu verteidigen".
Angesichts dieser Zahlen müssen meiner Meinung nach die Prioritäten in der
Afghanistan-Politik neu gesetzt werden. Die Probleme in Afghanistan heißen
Arbeitslosigkeit, horrende Mütter- und Kindersterblichkeit und Dürre - nicht
Terror und fehlende Tornados. Anstatt sich darauf zu konzentrieren, ob und wie
deutsche Tornados Kampfhandlungen unterstützen können, sollten wir nachdenken,
wie wir langfristig den Hunger der Menschen stillen und wirkliche Aufbauhilfe
durch zivile Kooperationen leisten können. Auch ein Abschiebestopp für hier
lebende Flüchtlinge aus Afghanistan ist unabdingbar.
Die Autorin
Angelika Claußen ist Ärztin und arbeitet als Psychotherapeutin mit
traumatisierten Flüchtlingsfrauen. Sie ist außerdem Vorsitzende der deutschen
Sektion der IPPNW (Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs/Ärzte in
sozialer Verantwortung). aud
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Copyright © FR online 2006
Dokument erstellt am 22.12.2006 um 17:00:02 Uhr
Letzte Änderung am 22.12.2006 um 18:28:16 Uhr
Erscheinungsdatum 23.12.2006