Gedanken eines Kindes im Krieg vom Krieg - gegen Krieg

 

Ein Gedicht von Barbara Gladysch

Das ist der Krieg...

 

Die Angst, das ist das Schlimmste,

ich habe Angst,

Angst - Tag und Nacht, immer.

Angst um meine Familie, meine Freunde;

Angst, dass ich allen bleibe;

Angst vor den Menschen, den Waffen, den Bomben, den Flugzeugen, den Gewehren, den Stöcken, den Steinen, den Messern;

Angst vor der Nacht,

Angst vor dem Tag;

Angst immer und überall.

Das ist das Schlimmste, die Angst.

Das ist der Krieg, den ich erlebe: ich höre die Schreie, das Krachen,

das Explodieren,

das Donnern,

das Schießen,

die Kommandostimme,

das Wimmern und

die gefahrvolle Stille.

Das ist der Krieg, den ich erlebe: ich sehe, wie mein Haus abbrennt, wie die Soldaten meine Mutter wegschleppen,

wie sie meinen Vater ermorden,

wie sie meinen Hund abschlachten,

wie mein Bruder verblutet und

meine Schwester vergewaltigt wird.

Das ist der Krieg, den ich erlebe: ich rieche den Rauch, den Moder; ich rieche verbranntes Holz,

verbrannte Schuhe,

verbranntes Fleisch;

ich rieche Blut und Tod.

Gedicht von Barbera Gladysch, gelesen am 3.April in Nottuln „ Kleiner Stern“,


 

 

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Das ist der Krieg, den ich erlebe: ich schmecke den Hunger; ich schmecke Blut;

ich schmecke NICHTS.

Das ist der Krieg, den ich erlebe: ich spüre den Feind, sein Auge,

seine Hand,

seine Stiefel,

seinen Atem,

seinen Hass,

seine Gewalt;

ich spüre ihn leibhaftig;

ich spüre Schmerzen, Wut, Ohnmacht.

Das ist der Krieg, den ich erlebe: ich fühle die Verlassenheit, die Schutzlosigkeit,

die Hilflosigkeit;

die Verantwortung, die mich stark macht.

Das ist der Krieg, den ich erlebe, von dem ich euch erzähle: von meiner Wirklichkeit als Kind im Krieg.

Das ist der Krieg, den ich erlebe, von dem ich euch erzähle:

vor dem ich fliehe: ich laufe, renne, stolpere, weg, nur weg von hier, schnell, lass alles liegen, lauf weg, lass alles hinter dir;

Todesangst lähmt den Verstand,

ich spüre nichts, ich höre nichts, ich fühle nichts,

die Gefühle sind tot.

Laßt mich in Ruhe, ich will nicht mehr,

ich will nicht mehr laufen,

nichts mehr hören, nichts sehen, nichts mehr spüren. Laßt mich,

laßt mich doch,

laßt mich doch sterben.

Hier.

Jetzt.


 

 

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Bitte.

Ich werde hochgerissen, angeschrien: Komm, lauf, duck dich, schnell, renn.

Über mir am Himmel ziehen weiße Wolken: langsam, still und sicher,

weit und weiter, weiter oben, ganz weit oben. Ich hier unten, ganz weit unten, ziehe weiter schwer.

Wir ziehen gemeinsam bis zur Grenze zwischen Himmel und Erde

bis zum Ziel hinter der Grenze: Flüchtlingslager.

Die Wolken ziehen weiter.

Ich bleibe hier,

zurück mit meinen Träumen

von Frieden, Gerechtigkeit und Glück.

Das ist der Krieg, den ich erlebe, von dem ich euch erzähle.

Wir Kinder haben ihn uns nicht ausgedacht, wir haben ihn nicht geplant,

wir haben ihn nicht im Parlament beschlossen, wir haben nicht über ihn abgestimmt,

wir haben ihn nicht vorbereitet,

wir haben ihm keine Waffen gekauft,

wir haben ihm keine Soldaten gegeben,

wir haben ihn nicht von Gott segnen lassen.

Die, die Kinder in die Welt setzen, setzen auch Kriege in die Welt. Beides an gleiche Stellen,

in gleiche Länder,

in gleiche Städte und Dörfer.

Krieg und Kinder zur gleichen Zeit an gleichen Orten...


 

 

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Die, die Kinder lieben, lieben auch den Krieg.

Das geht nicht.

Das eine schließt das andere aus. Das geht nicht zusammen.

Es gibt überall Kinder auf der Welt.

Das ist der Grund gegen Kriege überall auf der Welt.

Die Erde gehört den Kindern.

Frieden gehört der Erde.

Für alle Kinder auf der Erde ist Frieden lebensnotwendig.

Sonst sterben sie mit der Erde, mit dem Sinn zu leben, mit dem Sinn, geboren zu werden.

Die, die Kinder in die Welt setzen, müssen gleichzeitig den Frieden mit in die Welt setzen.

Sie müssen mitverantworten: den Frieden aufbauen, gestalten, auf ihn aufpassen, ihn bewahren, ihn verteidigen, für ihn kämpfen ohne Gewalt ­mit höchster Achtsamkeit.

Denn Krieg wird immer vorbereitet, weil man Geld damit verdienen kann.

Wir Kinder verdienen kein Geld. Wir verdienen Frieden.

Vom Frieden erzähl ich euch später.

Barbara Gladysch