Nicht schnell Empörung, sondern kontinierliche Arbeit ist wichtig:

Die Friedensinitiative Nottuln schmiedete ein Bündnis

Der Runde Tisch gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit

Nottuln. Glasscheiben klirren. Die Gardinen am Fenster fangen Feuer. Schreie. Hilferufe. Dann nach kurzer Zeit schon stehen die Feuerwehr, die Polizei und auch der damalige Gemeindedirektor Joseph Moehlen vor dem Asylbewerberheim in Nottuln, Eckenhovener Weg. Immer wieder haben Jugendliche aus der rechten Szene in Nottuln Attacken gegen Ausländer angekündigt. Dass diese Ankündigungen ernst zu nehmen sind, zeigen die viele Begebenheiten: randalierende Skinheads auf dem großen Martinimarkt im Ortskern - Bürger aus Nottuln, die fremdländisch aussehen, wagen sich nicht zu diesem Dorffest aus dem Haus - NS-Schmierereien an Fassaden und VEW-Kästen, massive Bedrohungen von Asylbewerbern, die in einem Wohnwagen-Camp zunächst mal untergebracht sind.Das alles passierte 1992 in Nottuln, einer kleinen Gemeinde im Münsterland, 18.000 Einwohner. Auch eine ständige Nachtwache von engagierten Bürgerinnen und Bürger konnte den Brandanschlag auf das Asylheim nicht verhindern.

Und heute? Die große Welle rechtsradikaler Gewalt ist zunächst abgeebbt. Das hat sicher mit den Änderungen der Strukturen innerhalb der rechten Szene zu tun: Einige Anführer wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, andere zogen weg, wieder andere sind der Szene entwachsen. Im kath. Jugendheim wurde ein Anti-Gewalt-Training mit Schlägern durchgeführt.

Das hat aber auch mit den Aktivitäten der Friedensinitiative Nottuln zu tun. Die Friedensinitiative startete zwei große öffentliche Gegenkampagnen: die Aktion „Courage“ und die Plakataktion „Nottuln – offen auch für Fremde.“ Viele Menschen trugen in Nottuln damals einen Sticker „Courage“ und signalisierten so deutlich, dass sie sich einmischen werden, wenn es zu Gewalt und verbalen Ausfällen kommt. Wie dies möglich ist, lernten einige in von der Friedensinitiative angebotenen Trainings, die mit erfahrenen Trainern aus der Graswurzel-Bewegung durchgeführt wurden. In vielen Häusern hing damals das schön colourierte Plakat „Nottuln – offen auch für Fremde“. Noch heute wirbt es – in so manchen Nottulner Hausfluren hängend – für den Abbau von Fremdenfeindlichkeit. Darüber hinaus organisierte die Friedensinitiative zusammen mit dem Bürgermeister Patenschaften für Flüchtlinge im Ort. Die wichtigste Konsequenz jedoch, die damals die Friedeninitiative auf den Weg brachte, existiert noch heute und arbeitet heute intensiver denn je: Der Runde Tisch gegen Gewalt. 1993 fand im Rahmen des großen Nottulner Friedensfestes eine Gesprächsrunde mit vielen Interessierten zum Thema „Was tun gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt“ statt. Die Idee für einen Runden Tisch – damals von den Menschen in der ehemaligen DDR abgeguckt – entstand auf diesem Friedenfest. Die Annahmen: Die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen und Erwachsenen wird weiter steigen. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht. Ausländerfeindliche und rechtsradikale Gesinnung und daraus resultierende Verhaltensweisen sind in den nächsten Jahren Bestandteil unserer Gesellschaft. (Die Entwicklung bis heute zeigt, dass dies leider stimmte.) Auch in Nottuln werden diese Entwicklungen weiter zu beobachten sein. Und zum Schluss sehr wichtig: Nicht schnelle emotionale Empörung (z.B. nach einem Anschlag) wird dieser Entwicklung entgegenwirken können, sondern kontinuierliche, von vielen gesellschaftlichen Gruppen getragene (Klein-)Arbeit. Und so arbeitet der Runde Tisch seit Jahren – in der Regel nicht öffentlich und wenig spektakulär: Es gibt einen festen Kreis von Eingeladenen. Dazu gehören Vertreter der Verwaltung, Vertreter der Schulen, der Jugendeinrichtungen, der Kirchen, natürlich der örtliche Polizist und der Beamte, der bei der Kreispolizei Coesfeld die Präventionsarbeit macht, und Mitglieder der Nottulner Friedensinitiative, die immer noch die wichtigen Impulse setzen.Den Vorsitz hat der Bürgermeister, der auch auf effektive Arbeitsstrukturen achtet. Dazu gehören Einladungen, Protokolle und inhaltlich sinnvolle Tagesordnungen. Erste Aufgabe des Runden Tisches ist der intensive Erfahrungsaustausch aus den unterschiedlichen Bereichen, die mit Jugendlichen in Nottuln zu tun haben. Hier können rechtzeitig problematische Entwicklungen erkannt werden. Aktionen können so koordiniert und schnell greifen. Um die Arbeit gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit langfristig anzulegen, werden Konzepte diskutiert und Perspektiven für Nottuln entworfen. So wird fürnächste Sitzung des Runden Tisches zum Beispiel die Referentin der Münsteraner Fachstelle für den Täter-Opfer-Ausgleich eingeladen. Eine wichtige Aufgabe des Runden Tisches ist die Beratung der Kommunalpolitik. In wichtige Entscheidungen im Jugendbereich fließen so die Ideen und Bedenken des Runden Tisches gegen Gewalt mit ein. Um noch deutlicher sich ein Bild über Gewaltentwicklungen in Nottuln machen zu können, hat der Runde Tisch seit drei Jahren ein Bürgertelefon gegen Gewalt eingerichtet. Hier kann jede und jeder anrufen, eigene Erfahrungen mit Gewalt schildern, auf Angst besetzte Räume hinweisen, eigene Ängste loswerden, Ideen weitergegeben usw.. Tag und Nacht ist das Telefon geschaltet. Täglich wird diese Einrichtung in der örtlichen Presse angekündigt. Allerdings wird diese Möglichkeit der Einflussnahme von den Bürgern noch zu wenig genutzt. Um die Arbeit des Runden Tisches noch transparenter zu machen, lud der Bürgermeister im Sommer zu einer ersten öffentlichen Sitzung ein. Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger, darunter viele Jugendliche, fanden den Weg ins Jugendheim, wo der Runde Tisch tagte. Deutlich wurde, dass gerade die Jugendlichen wichtige Erfahrungsträger sind, die die Arbeit des Runden Tisches bereichern können. Angeregt wurde, dass deshalb der Runde Tisch öfter öffentlich tagen sollte. Deutlich wurde aber auch, dass die Jugendlichen den Kontakt zum Runden Tisch zum Beispiel über das öffentliche Telefon bisher wenig genutzt haben. Hier gilt es die Zusammenarbeit zu intensivieren, die Jugendlichen zu motivieren, ihre Erfahrungen weiterzugeben, auch aktiv zu werden und sich nicht nur in Insiderkreisen zu beschwerden. Eine Reihe von Vorschlägen legte die Friedensinitiative für die nächste Zeit vor:

VorschlägeVorbeugung gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit in Nottuln

  1. Beteiligung an einer der vielen Kampagnen (z.B. des Landes NRW „Aktion Zivilcourage“, „Courage“, „Aktiv Z“, Aktion „GesichtZeigen“ (Michel Friedman/Paul Spiegel ....) 
Ziel:Demonstration: Die große Mehrheit der Nottulner ist gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit und macht dies auch nach außen deutlich (Button, Aufkleber, Plakate im Fenster...)Gemeinde Nottuln/Schulen/Vereine
  1. Öffentlichkeitsarbeit: „Jeder kann in Gewaltsituationen etwas tun“
(Siehe „Aktiv und Gewaltfrei“) Veröffentlichung dieser Punkte an alle Haushalte (per Postwurfsendung). Veröffentlichung der Punkte in der örtlichen Presse.
Gemeinde Nottuln/Presse
  1. Organisation von Trainings „Aktiv gegen Gewalt“
Möglichst in Kooperationmit der VHS (als Angebot für alle Bürgerinnen und Bürger) und mit den Schulen (als Angebot für Schülerinnen und Schüler).
Die FI vermittelt gerne kompetente Trainer. 

FI/VHS/Schulen/Jugendeinrichtungen

  1. Gezielte Projekt für gefährdete Jugendliche Jugendeinrichtungen/Schulen
  1. Erneute Auflage der Plakataktion: „Nottuln – offen auch für Fremde“.
Gemeinde Nottuln/FI/Sponsoren
6.Die Kommunalpolitik geht voran: Ausländer jeder Art dürfen nicht mit dem Etikett „Last“ behaftet werden, sondern mit dem Etikett „Bereicherung“.

Bürgermeister/Rat

7.In regelmäßigen Abständen tagt der Runde Tisch gegen Gewalt öffentlich.

Runde Tisch gegen Gewalt

Finanzierung:Mittel des Landes NRW(pro Einwohner eine DM)

Der Bundeskanzler verlangte anlässlich des Anschlags auf die Düsseldorfer Synagoge einen „Aufstand der Anständigen“. In Nottuln hat dieser schon begonnen.

Die Arbeit geht weiter – mit Elan, aber vor allem mit einem langen Atem, der auch mal Tiefen aushalten kann.

Udo Hegemann

Robert Hülsbusch

Friedensinitiative Nottuln