Robert
Hülsbusch
Ein konstruktiver Beitrag im Prozeß
der Normalisierung zwischen
Polen und Deutschland
Erfahrungen
mit einer Städtepartnerschaft
"Wir
haben die Vergangenheit nicht vergessen. Aber wir glauben fest an eine
bessere Zukunft." Mit diesen Worten schloß Wojciech Stefaniak, Vorsitzender
ds Stadtrates in der polnischen Stadt Chodziez, seine Rede, die er im März
1992 aus Anlaß des feierlichen Abschlusses einer Partnerschaft zwischen
seiner Stadt und der Gemeinde Nottuln aus Nordrhein-Westfalen hielt. Der
Nottulner Bürgermeister hatte gar als "Brautgeschenk" eine Glocke
mitgebracht, die als Signalgeber viele Aufgaben übernehmen könnte.
Aber - und dies war der größte Wunsch des Bürgermeisters
- eines sollte die Glocke immer verkünden: "den Frieden und die Freundschaft
zwischen den Menschen unserer Städte."
Unterzeichnet
wurde dann die Urkunde:
"Der
Bürgermeister und der Gemeindedirektor der Gemeinde Nottuln in Deutschland
und der Vorsitzende des Stadtrates und der Bürgermeister der Stadt
Chodziez in Polen erfüllen den Wunsch ihrer Bevölkerung und den
Beschluß der frei gewählten Ratsmitglieder, eine Partnerschaft
zwischen Chodziez und Nottuln zu begründen.
Beide
Partnerstädte sind
*
bemüht, einen konstruktiven Beitrag im Prozeß der Normalisierung
der Beziehungen zwischen Polen und Deutschland zu leisten,
*
bestrebt, daran mitzuwirken, die Beziehungen der Menschen in unseren beiden
Ländern zu verbessern,
*
überzeugt, daß die Partnerschaft zwischen Nottuln und Chodziez
zu einer gegenseitigen Verständigung ihrer Bewohner führt und
ein Gefühl der Zusammengehörigkeit vermittelt.
Darum
unterzeichnen und besiegeln sie heute diese Partnerschaftsurkunde.
Beide
Partner unterstützen vor allem den Austausch ihrer Bürgerinnen
und Bürger auf kulturellen, sozialen, sportlichen und auch wirtschaftlichen
Gebieten. Durch einen intensiven Jugendaustausch soll der Grundstein für
Völkerverständigung, gute Nachbarschaft und partnerschaftliche
Zusammenarbeit gelegt werden.
Beide
Partner unternehmen alle Anstrengungen, um diesen für den Frieden
bedeutsamen Beschluß zum Erfolg zu verhelfen und damit der gemeinsamen
Zukunft Europas zu dienen.
Chodziez
am 27. März 1992."
Hintergrund,
Konzeption und Zielsetzung der Partnerschaft zwischen Chodziez und Nottuln,
überhaupt einer Städtepartnerschaft zwischen Polen und Deutschen
sind mit dieser Urkunde kurz und pointiert beschrieben.
Basis für
einen dauerhaften Frieden
Der
Weg der hier beschriebenen Städtepartnerschaft war lang und häufig
nicht einfach. Viele Steine mußten ausgeräumt werden:
1984
- ein Jahr nach der endgültigen Realisierung des "Nato-Doppel-Beschlusses"
- entstand in der Friedensinitiative Nottuln im Rahmen einer grundlegenden
Neubestimmung der Funktion und Zielsetzung von Friedensarbeit eine kleine
Arbeitsgruppe "Partnerschaft mit Osteuropa". Geleitet wurde die AG von
den Gedanken Carl Friedrich von Weizsäckers, daß nicht Abrüstung
Frieden bringt, sondern Frieden die Voraussetzung von Abrüstung ist.
Ein dauerhafter Frieden ohne die lebensgefährlichen Bedrohungen des
atomaren Abschreckungssystems kann nur von unten entstehen. Dahinter steckte
eine Vision: Wenn sich die Menschen kennenlernen, diese miteinander reden
und kontinuierliche Kontakte entwickeln, ist die Chance zumindest größer,
daß es nicht zu militärischen Austragungen von Konflikten und
Spannungen kommt.
Zu
der damaligen Zeit gab es kaum diese wichtigen Brücken nach Osteuropa.
So kam 1978 der Deutsche Städtetag bei einer Umfrage unter seinen
Mitgliedern zu dem Ergebnis, daß fast 800 Städte und Gemeinden
in der Bundesrepublik "Freundschaften" und "Partnerschaften" vor allem
mit englischen und französischen Städten unterhielten. Nur 13
waren nach Osteuropa geknüpft. Auch 10 Jahre später war dieses
Verhältnis noch nicht anders. 1987 standen den rund 2200 weltweiten
Partnerschaften bundesrepublikaner Kommunen vor allem mit Städten
der westlichen Hemisphäre und Dritte-Welt-Ländern nur 30 Partnerschaften
mit Osteuropa gegenüber. Zu Polen waren es nur 5.1)
1986
wandte sich die Friedensinitiative Nottuln zum ersten Mal an den Gemeinderat,
um eine Partnerschaft mit einer Stadt in Osteuropa anzuregen. Die Initiative
wurde zwar grundsätzlich
Zunächst
Vorbehalte und viele Fragen
begrüßt
(Was sollte auch gegen ein so "edles" Engagement wie es der Versuch
darstellte, den
Ost-West-Gegensatz reduzieren zu helfen, ins Feld geführt werden?)
Aber es gab auch Vorbehalte und Fragen Ist es überhaupt möglich,
eine echte Partnerschaft zwischen den Bürgern der beiden Städte
herzustellen, oder wird es vom Osten her eine Partnerschaft der Bürokraten
und Politfunktionäre? Wird mit so einer Partnerschaft nicht gar das
politische System des Osten unterstützt? In dem schon bestehenden
Komitee für Städtepartnerschaft der Gemeinde Nottuln 2)
standen diese Bedenken im Vordergrund. Hinzu kam die Sorge, daß eine
2. Städtepartnerschaft die Kapazitäten einer so kleinen Gemeinde
(15.000 Einwohner) übersteige. Deutlich wurden jedoch auch die starken
Bedenken gegen die Initiatoren einer solchen Städtepartnerschaft.
Mehr verdeckt als offen wurde der Friedensinitiative vorgeworfen, hier
ein neues politisches Betätigungsfeld zu suchen. Die Idee der Partnerschaft
werde hier funktionalisiert. Dies wollte das Komitee für Städtepartnerschaft
nicht unterstützen.
Diese
erste "Niederlage" löste bei der Friedensinitiative Nottuln keine
Resignation aus. Im Gegenteil: Es wurde deutlich, daß gleich zu Beginn
eine neue Partnerschaft von vielen Organisationen getragen werden muß.
So startete die Friedensinitiative eine große Werbeaktion bei den
Nottulner Parteien, Kirchen und Vereine.3)
Nicht ohne Erfolg. Weitere Nottulner Organisationen, aber auch einzelne
Bürger, zum Schluß selbst Mitglieder des schon bestehenden Partnerschaftskomitees
erklärten ihre Bereitschaft, eine neue Partnerschaft zu unterstützen.
Gleichzeitig informierte sich die FI über die schon bestehenden Städtepartnerschaften.
Fast alle deutschen Städte, die Partnerschaften mit Osteuropa unterhielten,
wurden angeschrieben. Das Ergebnis war mutmachend: Trotz des eisernen Vorhangs
trugen diese Partnerschaften zum Kontakt und Austausch von Bürgern
und hier besonders von Jugendgruppen bei. Eine erneute Initiative nach
dieser - fast 2jährigen Arbeit - fand im Rat diesmal eine positivere
Resonanz. Der Gemeinderat von Nottuln sprach sich für eine 2. Städtepartnerschaft
aus. Nach z.T. heftigen Auseinandersetzungen entschied sich auch das Komitee
für Städtepartnerschaft, eine Partnerschaft nach Osteuropa mitzuorganisieren.
Das Komitee wurde umgebildet. In den neuen Fachbereich Osteuropa wurden
gar 2 Mitglieder der Friedensinitiative gewählt. Die eigentliche Arbeit
konnte beginnen. Deutlich war geworden: 1. Es ist unbedingt notwendig,
schon in einem sehr frühen Stadium der Arbeit an einer Städtepartnerschaft
mit Sachkompetenz und konkreter Zielvorstellung bei Bürgern und Vereinen
um Unterstützung zu werben. 2. Es ist wichtig, schon sehr früh
eine eigene überparteiliche und vom Rat unabhängige, aber durch
diesen auch anerkannte und möglichst finanziell geförderte Organisation
zu gründen.4)
Die Suche nach
einer Partnerschaftsstadt
In
den nächsten Wochen und Monaten beschäftigte sich das Partnerschaftskomitee
ausführlich mit den historischen, politischen und geographischen Gegebenheiten
in Osteuropa. In Zusammenarbeit mit der Deutsch-Polnischen Gesellschaft,
mit Wissenschaftlern an der Universität Münster, aber auch im
direkten Gespräch mit Vertretern einiger Städte, die bereits
Partnerschaften nach Osteuropa unterhielten, wurden die Entwicklung und
die konkrete Ausgestaltung einer Partnerschaft sorgfältig analysiert.
Folgende Kriterien für die Institutionalisierung einer Städtepartnerschaft
Ost und für die Auswahl einer Stadt wurden vom Komitee erarbeitet:
*
Entfernung
*
Sprache/Verständigung
*
Vereinsstrukturen
*
Landschaft und Umfeld
*
Größe der Stadt
*
Mentalität der Menschen dort
(Emotionale
Nähe und Distanz).
Das
Kriterium "Entfernung" veranlaßte das Komitee, gleich zu Beginn Städte
aus der ehemaligen Sowjetunion auszuschließen. Für eine kleine
Gemeinde ist eine Partnerschaft mit russischen Städten kaum realisierbar.
Die Wahl fiel schnell auf eine Stadt in Polen. Im Vordergrund stand dabei
nicht mehr so sehr die Notwendigkeit, den Ost-West-Konflikt zu entschärfen.
Nach 1990 rückte dieser Aspekt in den Hintergrund. Mit der Vereinigung
wurde Polen wieder unser unmittelbare Nachbar. Versöhnung und (auch
deshalb) die Bereitschaft, durch partnerschaftliche und freundschaftliche
Kontakte beim Aufbau einer neuen Gesellschaft mitzuhelfen, sollten demonstriert
werden. Aber auch die heute noch bestehenden massiven Vorbehalte sowohl
auf polnischer als auch auf deutscher Seite gegen den jeweils anderen5)
spielten eine wichtige Entscheidung für die Wahl.
Die
Entscheidung für Polen war gefallen. Die schwierige Auswahl einer
konkreten Stadt begann. Schon bestehende und dem Komitee bekannte Kontakte
nach Polen (Kirchenkontakte, persönliche Beziehungen, Aussiedler)
wurden genutzt, um sich über einige
Die ersten Kontakte
Städte
näher zu informieren. Schließlich kamen 4 Städte in die
nähere Auswahl. Kontakte wurden hergestellt. Eine kleine Delegation
des Komitees für Städtepartnerschaft brach zu zwei Erkundungsfahrten
auf, nachdem sie sich in diese polnischen Städte hatte einladen lassen.
Der Kontakt kam dabei häufig über die katholische Kirche in Polen
zustande. Ein unfaßbarer herzlicher Empfang und großes Interesse
empfing die Nottulner Delegation in allen 4 Städten. Fast mußten
schon die großen Erwartungen der Gastgeber, besonders die an einer
wirtschaftlichen Unterstützung, gedämpft werden. Wieder zurück
in Nottuln legte die Delegation dem Komitee einen ausführlichen Bericht
vor. Gemeinsam wurde eine Stellungnahme als Entscheidungshilfe für
den Rat erarbeitet. Die Präferenz des Komitees wurde im Gemeinderat
übernommen. Die Entscheidung, eine Partnerschaft mit der polnischen
Stadt Chodziez einzugehen, war gefallen.
Die
eigentliche Aufbauarbeit begann - lange bevor die offizielle Verschwisterung
stattfand. Eine Delegation aus Chodziez wurde nach Nottuln eingeladen.
Viele persönliche Begegnungen zwischen den Aktiven in Nottuln und
Chodziez führten zu den ersten echten Freundschaften - eine Basis
für die kommende Partnerschaft. Das Komitee stellte mit Text, Bild
und Film die neue Partnerschaftsstadt in Vereinen und Schulen vor. Das
Ergebnis: Die ersten Vereine bekundeten ein konkretes Interesse an einem
Austausch. Im Frühjahr 92 fuhr bereits die erste Schulklasse aus Nottuln
nach Chodziez. Der Gegenbesuch erfolgte im Sommer. Im Sommer 92 - die offzielle
Urkunde war bereits unterzeichnet - reiste ebenfalls das gesamte Nottulner
Komitee nach Chodziez, um den weiteren Verlauf der Partnerschaft mit dem
dortigen Komitee zu besprechen. Auch wenn die Vereinsstruktur in Chodziez
sich erst langsam bildet, gibt es auch dort schon viele Wünsche nach
einem Austausch. Die Kontaktaufnahme zwischen den Vereinen herzustellen,
das ist die Aufgabe der beiden Komitees in Nottuln und Chodziez. Die erste
gemeinsame Sitzung der Partnerschaftsorganisationen eröffnete die
vielfältigen Möglichkeiten der Beziehungen zwischen
Investitionen
in eine gemeinsam Zukunft
Nottuln
und Chodziez. Viele Vereine und auch die Kirchen werden miteinander Kontakte
aufnehmen. Gemeinsame Kulturveranstaltungen (Konzerte, Sportveranstaltungen
usw.) sind geplant. Die Schulen in Nottuln und Chodziez werden ihren Austausch
intensivieren. Eine Adressenaustauschliste wird jedem darüber hinaus
auch private Kontakte ermöglichen (z.B. um in der jeweils anderen
Stadt Urlaub zu machen). Im November wird eine Abteilung der Porzellanfabrik
Chodziez in Nottuln erwartet. Im Rahmen des traditionellen Martinimarktes
wird sie ihre Produkte in Nottuln vorstellen und die Möglichkeiten
einer wirtschaftlichen Kooperation ausloten. Andere Handwerks- und auch
Landwirtschaftsbetriebe haben bereits ebenfalls ihr Interesse nach Austausch
bekundet. Von Nottuln aus ist - das große wirtschaftliche Gefälle
zwischen Ost- und Westeuropa im Auge - die materielle und personelle Unterstützung
von konkreten Projekten in der Partnerstadt anvisiert. Unterstützung
wird Chodziez überhaupt bei der Realisierung der Partnerschaft brauchen.
Prinzip des Austausches ist, daß der jeweilige Gastgeber Unterkünfte
(in der Regel privat) und Verpflegung stellt. Allein die Reisekosten müssen
die Gäste tragen. Aber auch diese sind für viele Bürger
aus Chodziez zu groß. So wird das Nottulner Komitee auch hier finanzielle
Zuschüsse leisten müssen - eine Investition in die gemeinsame
Zukunft Europas.
Erstaunlich
ist, daß zwar zu Beginn - wie vermutet -die
gemeinsame, belastete Vergangenheit bei den Begegnungen eine große
Rolle spielte, aber diese schon - wenn auch nicht vergessen - nach kurzer
Zeit in den Hintergrund rückte. Der Blick ist auf die Zukunft gerichtet
- auf die beginnende Freundschaft zwischen Nottuln und Chodziez, auf eine
friedliche und gut nachbarschaftliche Beziehung zwischen Polen und Deutschland,
auf das "gemeinsame Haus Europa".
Die
Städtepartnerschaft Nottuln - Chodziez wird dazu einen kleinen, bescheidenen
Beitrag leisten.
1.
Siehe Vogel, Ralph-Günther und Munier, Gerald:
Städtepartnerschaften
mit Osteuropa. Der Feindbildpropaganda
das
Fundament entziehen.; in Alternative Kommunalpolitik 2/87
S.
23 - 35
2.
Seit 1984 unterhält Nottuln bereits eine Partnerschaft mit der
französischen
Stadt St. Amand.
3.
Sehr wichtig war in diesem Zusammenhang auch das Gespräch mit
den
Vertriebenen in Nottuln. Auf einem gemeinsamen Frühschoppen
wurde
das - für diese Gruppe - heikle Thema einer
Städtpartnerschaft
mit Polen diskutiert. Der Ergebnis: Die
Mehrheit
dieser Bürger grüßte eine Partnerschaft:
"Wir
dürfen unseren Schmerz nicht auf die Jugend übertragen!"
4.
Als Hilfe für die Planung der Arbeit ist nützlich: Die
"Checkliste
zur Zeitabfolge wichtiger einzelner Arbeitsfelder
bei
der Kontaktanbahnung"; in: Vogel, a.a.O.S.
27 ff
5.
Diese wurden in Umfragen sehr deutlich. Siehe hierzu: den
"Meinungsreport"
in der Sendung "Report" vom 30.10.1990
(Bayrischer
Rundfunk) und Kwiatkowski, Stanislaw: Das Ansehen
der
BRD und anderer Staaten in der VR Polen: Die "Liebe" der
Polen
zur BRD; in: Polen und wir; 4/89Seite
10 und 11.
Einige
Beispiele: Gefragt, welche Staaten eine Gefahr für den
Weltfrieden
darstellen, antworten 64 % der politischen Bürger:
die
Bundesrepublik Deutschland. Gefragt, ob es in Zukunft
zwischen
Polen und Deutschen ein Verhältnis geben kann,
vergleichbar
mit der deutsch-französischen Freundschaft,
antworten
45 % der Deutschen mit "eher unwahrscheinlich" oder
"ganz und gar unwahrscheinlich".