Robert Hülsbusch

"Unser Marsch ist eine gute Sache..."

Die Ostermärsche in der Bundesrepublik
Der Ostermarsch im Kreis Coesfeld

"Das Zusammenfinden der beiden deutschen Staaten kann ein Vorbild für das Zusammenfinden der Völker insgesamt sein. Militär darf dabei keinen Platz haben." Als Arne Krohn aus Neuruppin 1990 bei der Abschlußveranstaltung des Coesfelder Ostermarsches seine Rede mit diesen Worten schloß, drückte er den Wunsch aus, für den seit Jahren Menschen in der ganzen Bundesrepublik Ostern für Ostern auf die Straße gegangen waren: ein friedliches Zusammenleben in Europa ohne Militär. Wer wird da nicht mitsingen können, wenn die Ostermarschierer ihr traditionelles Lied anstimmen: "Unser Marsch ist eine gute Sache..."

Der Beginn des Friedensbewegung der Bundesrepublik ist markiert durch die Kampagne "Kampf dem Atomtod" in den 50er Jahren. Damals galt es, eine nukleare Ausrüstung der Bundeswehr zu verhindern. Nach dem Verbot einer Volksbefragung zu dieser Thematik brach im Sommer 1958 die Kampagne auseinander. Deren tonangebenden Träger SPD und DGB wollten nicht in den Ruch der Verfassungsfeindlichkeit geraten. Das Motto der Bewegung "Wir werden nicht Ruhe geben, solange der Atomtod uns bedroht" war bald vergessen.

Mit der Idee der Ostermärsche formierte sich im Frühjahr 1960 die Friedensbewegung auch in der Bundesrepublik neu. Vorläufer war dabei ein Marsch, den die britische "Campaign for Nuclear Disarmament" (Kampagne für atomare Abrüstung) Ostern 1958 vier Tage lang von London zu dem über 80 km entfernten Kernwaffenforschungszentrum Aldermaston und 1959 von da aus in die Hauptstadt Englands durchgeführt hatte. Von Karfreitag bis Ostersonntag 1960 veranstalteten Atomwaffengegner in kleineren Gruppen von Bremen, Braunschweig, Hamburg, Hannover und Lüneburg aus einen Sternmarsch zum Raketenübungsplatz Bergen-Hohne, wo die Bundeswehr im Dezember 1959 erstmals amerikanische Atomraketen getestet hatte. Die Ostermärsche der 60er Jahre führten zur ersten organisch gewachsenen Massenbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik, die nicht von Parteien bzw. Organisationen vereinnahmt wurde. Jeder konnte sich einbringen - ohne Rücksicht auf weltanschauliche, politische, religiöse oder kulturelle Meinungen. Der Beweis war angetreten: Schranken in dieser Hinsicht können und müssen überwunden werden, wenn das Menschheitsinteresse am Überleben im Atomzeitalter die Zusammenarbeit aller Friedenskräfte erfordert.

Nach dem Abflauen zum Ende der 60er Jahre erlebten die Ostermärsche mit dem Beginn der neuen Friedensbewegung um 1980 wieder einen Aufschwung. Die Diskussion um den Nato-Doppelbeschluß war voll entbrannt. Die Drohung, neue amerikanische Atomraketen in der Bundesrepublik zu stationieren, führte zu einer anwachsenden Diskussion über Friedens- und Sicherheitspolitik, motivierte viele Menschen, zum ersten Mal sich mit dieser Thematik zu beschäftigen, zum ersten Mal für Frieden und Abrüstung auf die Straße zu gehen. Allererstes Ziel der ersten Ostermärsche zu Beginn der 80er Jahre war es wieder, auf die Gefahren der atomaren Aufrüstung hinzuweisen. Gleichzeitig wurde jedoch allgemein die Überrüstung thematisiert und Perspektiven einer Friedens- und Abrüstungspolitik entwickelt.

1986 es dann endlich soweit. Der Kreis Coesfeld hatte seinen ersten eigenen Ostermarsch. Bis 1985 nahmen die Friedensbewegten aus Coesfeld Ostern jeweils Sach und Pack und schlossen sich den großen Ostermärschen aus Münster und dem Ruhrgebiet an. Zum Schluß waren es nur noch wenige. Diese frustierenden Erfahrungen führten zu der Konzeption eines lokalen Ostermarsches: Wir demonstrieren da, wo wir wohnen. Wir sprechen die Bürger an, mit denen wir zusammenleben. Der Ostermarsch wird bürgernah, findet nicht nur im Fernsehn und auf den überregionalen Seiten der Zeitungen statt. Gleichzeitig macht der Ostermarsch deutlich, daß Rüstung und gar Atomrüstung nicht irgendwo stattfindet, sondern sich direkt vor unserer Haustür breitmacht: In Dülmen-Visbeck existiert ein Atomwaffenlager. In Coesfeld und Dülmen sind tausende von Soldaten stationiert, z.T. ausgerüstet mit Artillerie, die auch Atomgranaten verschießt. In Nottuln befindet sich unter der Hauptschule ein Atombunker, das Ausweichquartier für den Regierungspräsidenten aus Münster. Manöver und Tiefflug belästigen die Bürger tagtäglich. Das Motto für den 1. Coesfelder Ostermarsch: "Macht aus dem Rüstungsnetz - auch im Kreis Coesfeld - ein Friedensnetz!" Der Erfolg gab der Konzeption eines lokalen Ostermarsches recht. Noch nie wurde in so vielen Gruppen und Organisationen - natürlich im Vorfeld zur Teilnahme eingeladen - über den Ostermarsch und damit auch über Friedens- und Sicherheitspolitik diskutiert. Ein breites Bündnis fand sich schließlich, um zu diesem Ostermarsch aufzurufen. Die wichtigsten Gruppen: die Friedensinitativen des Kreises, die kath. Pax-Christi-Gruppen, die Arbeitsgemeinschaft der 3. Welt-Gruppen, der Bund Deutscher Katholischer Jugend, die SPD, die Grünen, die Gewerkschaften und die Ärzte zur Verhinderung eines Atomkrieges (IPPNW). Noch nie gingen so viele Menschen aus dem Kreis Ostern demonstrieren - darunter auch viele ältere Bürger. 500 bis 600 waren Ostermontag auf der Straße. Zum ersten Mal berichtete auch die Lokalpresse ausführlich und mit positiver Tendenz über die Ostermärsche.

In den nächsten Jahren wurde das Konzept eines bürgernahen Ostermarsches weiter ausgearbeitet. Der Ostermarsch entwickelte sich zu einem Osterspaziergang, eintägig, mit vielen Pausen, bespickt mit Kultur und Unterhaltung - familienfreundlich. Die langen Reden auf der Abschlußkundgebung verschwanden. Stattdessen Musik, Theater, Stände, Spielangebote für die Kinder. Eine Spenden- und Sponsorenaktion unterstützt ganz konkrete soziale und friedenspolitische Projekte. Es wird nicht nur dem Frieden das Wort geredet. Es wird gehandelt. Frieden braucht Gerechtigkeit. Frieden braucht konkrete Unterstützung.

1988 - die Mittelstreckenraketen wurde wieder abgebaut - unternahmen die Ostermarschierer des Kreises Coesfeld "Weitere Schritte auf dem Weg zum Frieden" - so das Oster-Motto in dem Jahr. Der beginnende Abbau der Ost-West-Konfrontation inspirierte die Bürger auch im Kreis Coesfeld über eine gemeinsame - die Blöcke übergreifende - Sicherheitspolitik nachzudenken. Eine Partnerschaft zwischen Ost und West wurde anvisiert. Daß diese damals schon so greifbar nahe war, daß 2 Jahre später schon Wirklichkeit wurde, wovon man nicht einmal zu träumen gewagt hatte, konnte keiner ahnen:

Ostern 1990. 50 Menschen aus Neuruppin, 50 Menschen aus der DDR steigen in Nottuln aus dem Bus. Riesige Freude. Freunde kommen. Menschen, die mit den Coesfelder Bürgern Ostermontag nach Dülmen marschieren wollen, die mit uns demonstieren wollen. "Für Frieden und Abrüstung. Ohne Militär. Für die Auflösung der NVA und der Bundeswehr."

Die Verabredung stand schnell. 1991 kommen wir nach Neuruppin. Coesfelder, Bundesbürger demonstrieren in der ehemaligen DDR, im ehemaligen "Feindesland". Nicht gegen den Osten! Nicht gegen den Westen! Sondern - so endet das Ostermarschlied - "wir marschieren für eine Welt, die von Waffen nichts mehr hält, denn das ist für uns am besten.!"

Wie wichtig dies ist, zeigen die dramatischen Entwicklungen der vergangenen Wochen. Jetzt erst recht!