Brief an die Bundestagsabgeordnete aus dem Kreis Coesfeld

NEIN zum Mazedonieneinsatz!

Nottuln, den 09.06.2001

Dr. Angelica Schwall-Düren
Bundestag
Berlin

Liebe Angelica,

noch ist der erste Einsatz von Bundeswehrsoldaten nicht aufgearbeitet, schon soll der zweite beschlossen werden. Und wieder steht Ihr als Bundestagsabgeordnete vor der Entscheidung – ist es noch eine oder gilt nur noch die „Staaträson“ und die „Bündnistreue“??? – deutsche Soldaten in einen Einsatz zu schicken.

Beim ersten Einsatz sollte ein multiethnisches Kosovo erhalten bleiben. Man dachte, mit ein paar Tagen Bombardement wäre das zu erreichen. Was daraus wurde, wissen wir heute. Dieser Einsatz sollte kein Präzedenzfall werden!

 Die Tragweite deiner Entscheidung für einen Mazedonien-Einsatz ist nicht minder gering.

Du kennst alle Argumente für und gegen den Einsatz, kennst die Risiken, die mit diesem Einsatz verbunden sind.

Uns stellen sich viele Fragen: 

v     Was soll der Einsatz genau? Geht es wirklich nur um ein Einsammeln von Waffen? Große Zweifel sind – nach allem, was wir wissen – berechtigt.

v     Gibt es einen Zielkatalog hinter diesem benannten Einsatz-Ziel? Der Nato-Sprecher hat jetzt davon gesprochen, dass es „vor allem“ um das Einsammeln der Waffen gehe.

v     Wird (wieder) mit falschen Karten – von Seiten der Bundesregierung – gespielt? Werden wir wieder nach dem Einsatz feststellen, dass Lageanalysen für die Zustimmung zum Einsatz herhalten mussten, die sich im nachhinein als nicht – ganz – der Wahrheit entsprechend herausstellen?

 Wenn die Risiken Realität werden – viele Punkte sprechen dafür -, welche weiteren Schritte einer militärischen Eskalation wirst Du mitgehen:

v     Wirst du dafür stimmen, dass die deutschen Soldaten auch 3 Monate, ein halbes Jahr im Einsatz in Mazedonien bleiben?

v     Wirst du dafür stimmen, dass über die 500 Soldaten hinaus noch weitere zusätzlich geschickt werden?

v     Wirst du dafür stimmen, dass der Einsammel-Einsatz zu einem Kampfeinsatz ausgedehnt wird?

v     Wo ist der Punkt, an dem du „aussteigst“?

 Beim letzten Bundestagsbeschluss (Kriegseinsatz gegen Jugoslawien) war es offensichtlich, dass nicht sehr lange darüber nachgedacht wurde, was wird, wenn der Einsatz nicht so „glatt“ läuft.

Die Erfahrung zeigt, dass militärische Einsätze – einmal beschlossen – eine Eigendynamik entwickeln. Stimmst du dem Einsatz im Bundestag zu, musst du dich auch mit diesen o.a. Fragen auseinandersetzen – und zwar jetzt und zwar öffentlich! Darauf haben wir als Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch, darauf haben erst recht die Soldaten einen Anspruch! 

Unsere Analyse – bei einer bescheidenen Informationslage - ist die folgende, übernommen von Tobias Pflüger, Informationsstelle Militarisierung, Tübingen:

1. Bei der jetzt bevorstehenden Entscheidung geht es um die dritte langfristige Stationierung von Bundeswehr-Einheiten auf dem Balkan.Nach der SFOR-Mission in Bosnien und der KFOR-Mission im Kosovo folgt Nun eine MFOR-Mission in Mazedonien. Schon seit 1992 sind in Mazedonien US-Militärs stationiert. Während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien begann Mazedonien ein von NATO-Truppen militärisch besetztes Land zu werden. 400 Bundeswehr-Soldaten haben in Tetovo, also mitten im Konfliktgebiet schon jetzt ihre "Heimatkaserne". Die Dauer von 30 Tagen für die Bundeswehr- und NATO-Mission sind völlig unrealistisch. Die Finanzplanungen zeigen, dass der Militäreinsatz langfristig angelegt ist. Die frühe Ankündigung einer NATO-Truppe und die jetzt begonnene Stationierung in Mazedonien haben nicht zu einer Abnahme der Spannungen vor Ort geführt, im Gegenteil. Viele Menschen in Mazedonien empfinden schon die bisherige Einmischung von EU, USA und NATO als einseitig zugunsten der UCK. Nicht wenige Menschen wollen die NATO-Truppen gar nicht in Mazedonien haben. 

2. Es geht um einen Kampfeinsatz der Bundeswehr.  Der offizielle Auftrag der NATO-Truppen der Operation "Essential Harvest" ist "Waffeneinsammeln" bei den

UCK-Truppen. Eine freiwillige Waffenabgabe bedarf keiner 3.500 NATO-Soldaten, auch keinen der vorgesehenen 500 Bundeswehr-Soldaten. Offensichtlich wissen alle, dass es sich um einen - in der Militärsprache - "robusten" Einsatz handelt, also einen Kampfeinsatz. Die Indizien für einen Kampfeinsatz der Bundeswehr sind vielfältig: Die albanische Nationalarmee (ANA), eine UCK-Abspaltung hat den von den EU- und

US-Vertretern diktierten "Friedensvertrag" abgelehnt. Aber auch die UCK selbst wird sich nur bedingt an den von ihr nicht unterzeichneten "Friedensvertrag" halten. Das mazedonische Parlament hat den Vertrag noch nicht ratifiziert, ob das überhaupt der Fall sein wird, ist offen. Die Amnestie für die UCK-Kämpfer ist noch nicht vollzogen und zudem bei der Bevölkerung in Mazedonien äußerst umstritten, schließlich haben die UCKler Menschen auf dem Gewissen. Nach der Unterzeichnung des Vertrages gingen die Kämpfe - wenn auch abgeflaut - weiter. Durch die jetzige Regelung können einzelne durch Anschläge oder ähnliches den geschlossenen "Friedensvertrag" torpedieren. Es wurde vorübergehend darüber spekuliert, daß die Bundeswehr-Einheiten innerhalb der Operation "Essential Harvest" eine spezielle Rolle zugewiesen bekommen hätten: Die Sonntags-FAZ schrieb, sie seien eine Art "Feuerwehrverband", der im Krisenfall "die Verbände anderer Nationen unterstützt und notfalls verteidigt", also ein absoluter Kampfeinsatz: Inzwischen wurde die Meldung vom "Verteidigungsministerium" wieder dementiert. Die Einsatzoptionen beschreiben dennoch einen klaren Kampfeinsatz.  

3. Die Anzahl der einzusammelnden Waffen ist völlig strittig - die Herkunft dagegen ist klar.  Die UCK spricht von 2.000 bis 3.000 Waffen, die mazedonische Regierung von ca. 8.000, die NATO bewegt sich dazwischen. Was sind das für Waffen, Kleinwaffen, mittleres oder großes Gerät? Die Waffen der UCK stammen zu ca. 70 Prozent aus westlichen Staaten, insbesondere aus den USA. Hier soll eingesammelt werden, was zuvor an den NATO-Bündnispartner UCK geliefert wurde.

Folgende Frage kann bisher niemand beantworten: Warum soll ein "Waffeneinsammeln" bei der UCK nun im Bereich Mazedonien funktionieren, obwohl dies seit zwei Jahren, seit dem Ende des NATO-Krieges gegen Jugoslawien, seit Juli 1999 im Bereich Kosovo nicht möglich war? Insbesondere die Überwachung der Waffenlieferungen, Einmärsche und Beschüsse über und von der Grenze zum Kosovo konnten nicht unterbunden werden. Für den Grenzabschnitt zwischen dem Kosovo und Mazedonien ist die Bundeswehr zuständig. Die mazedonische Regierung warf deshalb auch der Bundeswehr und der deutschen Regierung vor, zu versagen.

Liebe Angelica,

  es klingt wie ein Märchen:  Wir werden in kurzer Zeit mit einem begrenzten Einsatz Waffen einsammeln, danach ist Frieden. Wenn es so einfach wäre.

 

Deutsche Außenpolitik soll Friedenspolitik sein – so steht es im Koalitionsvertrag.

Darunter verstehen wir – auch der Koalitionsvertrag –, dass die UNO als Friedensinstanz ausgebaut wird. Was wir in den letzten Jahren erleben ist, dass die UNO von den USA und von der NATO systematisch an den Rand gedrängt wird.

 Ein deutsches Nein zu diesem Nato-Einsatz wäre ein klares Signal: Für diese Aufgaben ist nicht die Nato oder ein andere Bündnis zuständig! Wenn eine Anfrage diesbezüglich kommt, wird diese weitergeleitet. Diese Aufgaben hat die UNO durchzuführen! Die Nato ist ein militärisches Interessenbündnis mit Verteidigungsauftrag. Sie ist nicht unparteilich und somit für diese Art Aufträge nicht ungeeignet.

Wir wollen dieses NEIN! 

Liebe Angelica,

 schon vor Wochen hat die Friedensbewegung die Politik aufgefordert, nicht einfach nur abzuwarten, was aus dem Nato-Mandat wird, sondern gezielt nach Alternativen im Rahmen der UNO zu suchen. Die wurden nicht auf den Tisch gelegt. Viele weitere konkrete Vorschläge einer Lösung des Mazedonienproblems habe Organisationen der Friedensbewegung vorgelegt. Auch die FR berichtete darüber in ihrer Ausgabe vom 21.8.2001. 

Dass gerade Rot-Grün Deutschland in einen weiteren (Kampf-)Einsatz führt, dass gerade Rot-Grün die erweiterte Rolle der Nato auch auf Kosten der Bedeutung der UN stärkt und dann noch zum allen Überfluss auch mit den Totschlagargumenten „Staatsräson“ und „Bündnistreue“ – kommt irgendwie bekannt vor, nicht wahr? – ist schon ein weiterer herber desillusionierender Schlag. 

Wir erwarten von unseren Bundesabgeordneten ein NEIN zur Entsendung deutscher Soldaten. Wir erwarten auch auf die weiterführenden Fragen Antworten.

 Mit freundlichem Gruß

 Robert Hülsbusch
FI Nottuln