Mit 66 im aktiven Friedensdienst

 

Roger Reinhard ist der einzige Deutsche im ökumenischen Begleitprogramm in Nahost

 

Am Morgen hört Roger Reinhard Hähne schreien, Schafe und Ziegen blöken. Die landwirtschaftlich geprägte Gegend, in der er wohnt, wirkt wie eine Idylle.  Doch der erste Eindruck täuscht. Reinhard lebt in einem Krisenherd dieser Welt. Seit Ende Januar ist der gebürtige Unterfranke als Konfliktbeobachter im Nahen Osten tätig. Im Auftrag des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) setzt er sich zusammen mit 19 anderen Freiwilligen für eine friedliche Lösung des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinensern ein.

 

Roger Reinhard kann es nicht fassen: Diese Mauer schützt nicht - sie zerstört!

 

 

 

Interesse an Friedensarbeit

 

Als der Rentner vor zwei Jahren  von dem ökumenischen Begleitprogramm im Nahen Osten hörte, fühlte er sich  sofort angesprochen. „Ich wollte schon immer aktiven Friedensdienst leisten“, erzählt der Unterfranke, der sich bereits seit längerem ehrenamtlich in der Friedensarbeit engagierte. „Es hat mich gereizt, in einem Krisenherd für gewaltfreie Alternativen einzutreten.“

Reinhard kannte das Heilige Land von einem früheren Besuch. Vor sieben Jahren war er für vier Wochen im Nahen Osten – im palästinensischen  Hebron und in Nordisrael. Deshalb bewarb er sich für die Aufgabe, als ökumenischer Begleiter an der Seite von Palästinensern und Israeli nach einer gerechten Lösung für den lang anhaltenden Konflikt zu suchen.

Eigentlich wollte Reinhard auf der israelischen Seite arbeiten, um die dortige Friedensbewegung zu unterstützen. „Sie wird als Randgruppe von der eigenen Bevölkerung angesehen.“ Doch dann kam er in Sawahreh zum Einsatz, einem Ort zwischen Ostjerusalem und dem Westjordanland, der durch die von Israel gebaute Mauer in einen West- und Ostteil gespalten wird. Die Trennung und seine Folgen bekommen der Konfliktbegleiter und seine zwei Teamkolleginnen – eine amerikanische Ärztin und eine schwedische Sozialpädagogin – täglich hautnah mit.

Morgens stehen die Friedensdienstler an neuralgischen Stellen zwischen palästinensischem und israelischem Gebiet. Dort, wo Schulkinder oder Arbeiter die Grenze passieren. Wenn sie abgeriegelt ist, versuchen die Menschen oft auf abenteuerliche Weise weiterzukommen – ob auf einem Schleichweg über einen Klostergarten oder durch eine Öffnung in der Mauer. „Schulkinder und Arbeiter gehen dabei ein hohes Risiko ein“, erzählt Roger Reinhard, der seit sechs Wochen in Sawahreh tätig ist. Für viele Menschen in dem geteilten Ort ist er inzwischen kein Unbekannter mehr. Durch seine rote Mütze mit Ökumene-Zeichen und seine helle braun-graue Weste mit Kreuz, Friedens-taube und Stacheldraht drauf fällt er auf. In die Gegend, wo er und seine Kolleginnen im Einsatz sind, verirren sich kaum Touristen.

„Beobachten, begleiten und berichten“ ist die Aufgabe der Friedensdienstler, die meist eine Kamera dabei haben. Sie versuchen im Bild festzuhalten, wenn israelische Soldaten in Grenznähe das Haus einer palästinensischen Familie zerstören – offizielle Begründung: keine Bauerlaubnis – oder wenn das Militär eine Demonstration gegen den Bau der Mauer gewaltsam beendet. Reinhard und seine Kolleginnen sind dabei, eine Beerdigung vom Ostteil Sawahrehs in den Westteil begleiten. Der Enkel der Verstorbenen hatte das Team darum gebeten aus Furcht vor Schwierigkeiten mit der Grenzpolizei. Aus Angst vor dem Verlust seiner Identitätskarte blieb er der Bestattung seiner Großmuttter fern. “Er konnte nicht wissen, dass an diesem Tag niemand Probleme bekam“, berichtet Reinhard, der als einziger Deutscher in dem ökumenischen Programm im Nahen Osten arbeitet, das im Sommer 2002 gestartet wurde.

 

Im Friedenseinsatz: Roger Reinhard

Ohnmacht aushalten

 

Obwohl gezielt auf die Aufgabe vorbereitet, ist es für den früheren Franziskanerpater und späteren Schichtführer einer Chemiefabrik nicht leicht, belastende Situationen auszuhalten und nicht direkt eingreifen zu können. Etwa plötzlich  in  einen Schusswechsel zu kommen oder am Kontrollpunkt zu erleben, dass jemand geschlagen wird. „Du bist mittendrin und kannst nichts tun“, schildert Reinhard die Ohnmacht. Trotzdem fühlt er sich nicht überflüssig. Denn er und seine Kolleginnen bekommen oft zu hören: „Gut, dass ihr da seid.“ Und sie spüren, dass ihre Anwesenheit an neuralgischen Punkten etwas bewirkt. „Die israelischen Soldaten benehmen sich gegenüber den Palästinensern anders, wenn wir in der Nähe sind.“

Die 20 Frauen und Männer des ÖRK-Programms – sie sind zwischen  25 und 66 Jahre alt und kommen aus sechs Ländern – sind offiziell verpflichtet, unparteiisch zu sein. „Wir dürfen uns weder auf die Seite der Palästinenser noch die der Israeli schlagen“, stellt der Unterfranke klar und fügt hinzu: „Für die Menschenrechte aber müssen wir Partei ergreifen.“

Da Reinhard und seine Kolleginnen auf palästinensischem Gebiet wohnen, versteht er die Bevölkerung dort gut, deren Bewegungsspielraum durch die Mauer und die israelischen Kontrollstationen stark eingeschränkt ist. „Die Menschen fühlen sich wie im Gefängnis. Sie sprechen von einem Ghetto.“ Umgekehrt kann er auch die Angst der Israeli vor den palästinensischen Selbstmordattentaten nachvollziehen. Gegenüber arabischen Gesprächspartnern verurteilt er die Anschläge klar: „Sie sind der schlechteste Dienst, den Palästinenser tun können – bei allem Verständnis für ihre schwierige Lage.“ Und der Friedensdienstler wendet sich dagegen, die Opfer auf palästinensischer und israelischer Seite gegenseitig aufzurechnen.

 

Bis April im Einsatz

 

Noch bis Ende April ist der 66-Jährige im Nahen Osten im Einsatz. Danach will  er sich aber nicht aufs Altenteil zurückziehen. Er steht in der Pflicht des Programms und möchte auch aus eigenem Antrieb anderen von seinen Erfahrungen berichten. Erste Anfragen haben ihn schon erreicht. So ist er als Referent zum Deutschen Katholikentag Mitte Juli nach Ulm eingeladen. Roger Reinhard hat viel zu erzählen: Die idyllische Atmosphäre mit Hahnenschrei, Schaf- und Ziegengeblöke spielt dabei wohl kaum eine Rolle.                    Günter Saalfrank