Ingeborg Bispinck-Weigand

Volkstrauertag: Eröffnungsansprache zur Aktion Stolpersteine
13.11.2005
Ich freue mich, Sie alle im Namen der Friedensinitiative Nottuln an diesem zunächst ungewöhnlichen Ort begrüßen zu dürfen.
Heute ist Volkstrauertag, den wir in Deutschland seit 1952 begehen, um an die Opfer beider Weltkriege und die des Nationalsozialismus zu erinnern.
Wir möchten uns hier an dieser Stelle darauf beschränken, was den hier im Ort lebenden jüdischen Familien angetan wurde.
„Es gibt Völker, die Gedenktage brauchen, um sich zu erinnern, und es gibt Völker, die Gedenktage haben, weil sie sich erinnern.",
so schreibt Kirsten Serup-Bilfeldt in ihrem Buch Stolpersteine. Wir möchten dazu beitragen, dass wir diesen Gedenktag deshalb begehen, weil wir uns erinnern.
Der Künstler Gunter Demnig kann uns dabei helfen. Er hat 1997 mit seinen Stolpersteinen begonnen, das Gedenken an die verfolgten Juden in den Alltag zu holen. Wir sind froh, dass Sie heute zu uns gekommen sind. Wir haben damit die Gelegenheit, die Erinnerung an den Nationalsozialismus für uns hier in Nottuln konkret zu machen. In dem Buch Stolpersteine erzählt Kirsten Serup-Bilfeldt eindrücklich über die Menschen, die hinter den vergessenen Namen und verwehten Spuren stecken, die in Köln durch einen Stolperstein in Erinnerung gehalten werden.
Für uns tut das gleich Hans-Peter Boer. Wenn er über die einzelnen Familien, die hier gewohnt haben, die hier das Novemberpogrom 1938 erleben mussten, und über ihr weiteres Schicksal erzählt, dann ist es möglich, eine innere Beziehung zu den Menschen herzustellen, derer wir heute gedenken. Dann wird aus dem abstrakten Gedenken eine konkrete Erinnerung.
Es gibt auch andere Formen der Erinnerung.
Die Straßennamen im neuen Baugebiet zum Beispiel. Sie erinnern an verfolgte Menschen im Nationalsozialismus:
Gottfried Könzgen, Franz Hitze, Kreulich, Nikolaus Groß und Bernhard Letterhaus.

Die Genannten kamen aus der katholischen Arbeiterbewegung oder standen ihr nahe: Nikolaus Groß war Sekretär der KAB, der "Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung" in Köln, sein Freund Bernhard Letterhaus war Zentrumspolitiker. Beide verband die Mitgliedschaft im Widerstandszirkel "Kölner Kreis". Professor Franz Hitze war der erste Professor für christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster - außerdem Mitglied des Reichstages und des Preußischen Abgeordnetenhauses. Und Gottfried Könzgen schließlich war, wie Groß, Arbeitersekretär der KAB und zeitweise Stadtratsverordneter der Zentrumspartei Duisburg.


Herr Demnig hat auch schon für Nikolaus Groß einen Stolperstein gesetzt. In Köln.
Auf die Frage, was Sie denn dazu treibt, diese Stolpersteine zu setzen haben Sie gesagt: "Ich spüre den Dingen nach, möchte Spuren sichtbar machen, erhalten und damit an Menschen oder Ereignisse erinnern, die in Vergessenheit geraten sind."
Wenn Gunter Demnig gleich die Steine mit der Messsingplatte und den Namen der verfolgten Mitbürger hier in den Boden einlässt, dann haben wir die Chance, uns immer wieder an unsere Vergangenheit zu erinnern. Und damit haben wir auch immer wieder die Gelegenheit darüber nachzudenken, welche Spuren wir als Einzelne denn hinterlassen wollen, nicht erst am Ende unseres Lebens, sondern in unserem Alltag. Spuren, die zu Versöhnung und Integration beitragen. Da gibt es unendlich viele Möglichkeiten.
Wir sind mit dem Aufruf zu Patenschaften für die Stolpersteine auf eine große Resonanz gestoßen. Wir freuen uns sehr darüber. Haben doch die jüdischen Mitbürger wenigstens jetzt Paten bekommen, die sich für ihren Schutz verantwortlich fühlen.