Die
Arbeit der Friedensintiative Nottuln wird mit dem Förderpreis Konziliare Prozeß
1995 ausgezeichnet:
Seit 15
Jahren Friedensenagement in Nottuln
Der
Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Hans-Martin Linnemann, lädt am
25. November Nottulner Bürgerinnen und Bürger nach Dortmund ein. An diesem Tag
wird der Förderpreis Konziliarer Prozeß 1995 verliehen. Einer der 5 Preisträger
dieses mit 10.000 DM dotierten Preises ist die Friedensinitiative Nottuln, die
- so der Präses in seiner Einladung - für ihre "besonders
zukunftsweisenden Initiativen im Zuge des Konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der
Schöpfung" ausgezeichnet wird. Der Friedensinitiative Nottuln - so hatte der Präses schon anläßlich der Entscheidung der
Jury - den Nottulner mitteilen lassen - sei es gelungen, in ihrem Lebensumfeld
immer wieder zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit friedensrelevanten
Themen herauszufordern und dabei auch Möglichkeiten einer konkreten, regional
bezogenen Praxis des Friedens aufzuzeigen und anzuregen.
- Am
Anfang: Heinrich Böll -
Der
Startschuß für diese erfolgreiche Arbeit fiel vor jetzt schon 15 Jahren. Im
Herbst 1981 wurde zu der ersten bundesweiten Friedensdemonstration nach Bonn
aufgerufen. Ihr Ziel war es, die Bevölkerung in der Bundesrepublik gegen die
geplante Stationierung von neuen amerikanischen Atomraketen auf deutschem Boden
zu mobilisieren. über 300.000 Menschen aus dem ganzen Land versammelten sich im
Bonner Hofgarten. Und in Nottuln? Bis dahin gab es in der kleinen Baumberge-
Gemeinde keine Friedengruppe, auch niemand sonst, der zur Mitfahrt nach Bonn
aufrufen könnte. So entschloß sich Robert Hülsbusch, damals noch Mitglied der
Arbeitskreises Umwelt Baumberge, per Zeitung und Flugblatt öffentlich anzuregen,
daß auch Nottulner Bürgerinnen und Bürger mit nach Bonn fahren. Die Resonanz
war groß. Zwei Busse mußten gechartert werden. Die riesige Demonstration zeigte
bei allen Beteiligten Wirkung. Zum Schluß der Großveranstaltung rief der
Schriftsteller Heinrich Böll alle auf, bei der nächsten Demonstration jeweils
noch 3 Menschen mitzubringen. Während der Rückfahrt nach Nottuln wurde diese
Aufforderung aufgegriffen. Dabei war klar: Wenn dies erreicht werden soll, muß
Friedenspolitik vor Ort gemacht werden, auf die Interessen der Menschen in
Nottuln ausgerichtet - und kontinuierlich.
Der
Beginn: Gegen neue Atomraketen
Noch im
selben Jahr gründete sich ein Arbeitskreis "Friedenswoche". Ziel war
es, sich an den bundesweit stattfindenden "Friedenswochen" -
initiiert von der Friedensorganisation innerhalb der Ev. Kirche "Aktion
Sühnezeichen" - zu beteiligen. In November 1981 fanden diese dann - zum
ersten Mal - auch in Nottuln statt: Film- und Diskussionsveranstaltungen wurden
organisiert, das erste Friedensfest fand statt - damals noch unter dem Namen
"Friedensmarkt", am Samstagmorgen im Hanhof. Die Resonanz auf diese
Friedenswoche machte dem Arbeitskreis Mut weiterzuarbeiten. Ostern 1982 zog zum
ersten Mal der große Ostermarsch Münsterland auf seinem Weg nach Dortmund durch
die Baumberge-Gemeinde - vorbereitet von der neugegründeten
"Friedensinitiative Nottuln". Die nächsten 2 Jahre waren bestimmt
durch das Engagement gegen die amerikanischen Mittelstreckenraketen Pershing II
und cruise missile. Höhepunkt in Nottuln war die Beteiligung an der
bundesweiten Aktionswoche im Herbst 1983. Bis zu 80 Nottulner Bürgerinnen und
Bürger beteiligten sich aktiv an den Vorbereitungen. Zum Schluß der
Aktionswoche zog der erste großáe Demonstrationszug durch die Baumberge-Gemeinde.
250 Nottulner unterstrichen so ihre Ablehnung gegen die Raketenstationierung.
Trotz
alle Proteste im ganzen Land faßte im Herbst 1983 der Bundestag den
Stationierungsbeschluß. Damit wurde auch die erste politische Niederlage der
entstandenen Friedensbewegung besiegelt. Auch in Nottuln zeigte dies Wirkung.
Leute, die aktiv waren, blieben den wöchentlichen Treffen der
Friedensinitiative fern.
- Nach
der Niederlage: Neubesinnung -
Der
Rest begann - nach einer Phase der Resignation und Stagnation - sich
grundsätzlich umzuorientieren. Friedenspolitik kann und darf sich nicht darin
erschöpfen, Raketen zu zählen. Das politische Handlungsfeld der
Friedensinitiative wurde erweitert: Zivilschutzmaßnahmen, alternative
Verteidigungskonzepte, Städtepartnerschaft mit einer Gemeinde in Osteuropa,
Beratung von Kriegsdienstverweigerern, Unterstützung von Totalverweigerern,
Aktionen gegen den Tiefflug usw.. Im Laufe der Jahre blieb die
Friedensinitiative Nottuln auch hier nicht stehen. Der Friedensbegriff wurde
noch weiter gefaßt. Die Diskussion darum mündete in einem Programmpapier. Ein
Auszug daraus:
"Die
FI kümmert sich um die Asylbewerber und -bewerberinnen im Ort, unterstützt ihm
Rahmen des Ostermarsches ein Arbeitslosenprojekt, sucht die Zusammenarbeit mit
Dritte-Welt-Organisationen, tritt als Organisation der Anti-Apartheid-Bewegung
(ABB) bei und führt Aktionen gegen Apartheid (z.B. Aufruf zum Früchteboykott)
durch: Frieden ist Gerechtigkeit!
Die FI
Nottuln kümmert sich um Umweltschutz, problematisiert den Autoverkehr im Ort,
fährt nach Wackersdorf und engagiert sich gegen das Zwischenlager für atomare
Brennelemente im Nachbarort Ahaus: Frieden schließt auch den Frieden mit der
Natur ein!
Die FI
Nottuln veranstaltet Gesprächsabende zu unserer NS-Vergangenheit, führt
öffentliche Aktionen gegen neo-nazistische Aktivitäten im Umkreis durch, setzt
sich für mehr Demokratie ein: Frieden ist Erinnerungsarbeit!
Die FI
mischt sich aktiv in die Kommunalpolitik ein, hält es sich offen, sich zu allen
Themen zu äußern. Ziel ist es, die politische Kultur und damit das Klima in der
Gemeinde zu verbessern: Frieden beginnt im Nahbereich!"
Damit
legte die Friedensinitiative Ende der 80er Jahre den Grundstein für ihre
heutige Arbeit: Friedenspolitik, Engagement für Entwicklung und Umweltschutz
gehören unmittelbar zusammen, sind ein Politikfeld.
- Vom
Störenfried zum etablierten Faktor in der Gemeinde -
Auch
das öffentliche Erscheinungsbild der Friedensinitiative Nottuln änderte sich im
Laufe der Jahre. Als die Gruppe 1981 ihre Arbeit begann, war sie alles andere
als etabliert, mehr ein politischer und
gesellschaftlicher Fremdkörper, störend, abgelehnt. Die Auseinandersetzung um
die Raketenstationierung polarisierte und emotionalisierte. Nottuln selbst war
bis dahin von friedenspolitischen Diskussionen "verschont" geblieben.
Die ersten Versuche stießen auf wenig Gegenliebe. Und - um
(Gegen-)Öffentlichkeit herzustellen, war die neue Friedensinitiative auf
symbolische Politik angewiesen, mußte zum Teil auch die Grenzen des Erlaubten
überschreiten. So wurden zum Beispiel während einer Ratssitzung ein großes
Transparent entrollt, die Tür zum Atombunker unter der Hauptschule mit einem
Netz von Wollfäden verriegelt, Ortseingangschilder mit dem Zusatz
"Atomwaffenfreie Gemeinde" versehen, zu Blockaden aufgerufen. Mehr
als einmal kam die FI so auch mit der Polizei in Konflikt.
Dies
änderte sich im Laufe der Jahre. Eine "allmähliche Entwicklung von
Ablehnung über Duldung bis hin zur Akzeptanz" - so der Berliner
Wissenschaftler Thomas Ohlemacher in einer Studie über die Anti-Tiefflugarbeit
der FI - kennzeichnete den weiteren Weg. 1990 kam gar Hildegard Kamp zu
folgendem Schluß: "Die Friedensinitiative Nottuln ist ein fest etablierter
Faktor im politischen und gesellschaftlichen Leben der Gemeinde Nottuln
geworden." über ein Jahr hatte die Publizistik-Studentin an der
Universität Münster die Arbeit der Friedensinitiative studiert und ihre
Magisterarbeit darüber geschrieben.
-
Langfristige Arbeit, erfolgreiche Projekte -
Viele,
Hunderte Aktivitäten kennzeichnen den 15j"hrigen Weg der
Friedensinitiative Nottuln: Veranstaltungen, Diskussionen, Aktionen,
Veröffentlichungen. Einige größere Projekte - mit durchaus unterschiedlichem
Erfolg - sind noch gut in Erinnerung:
* 1983
startete die Friedensinitiative die Aktion "Atomwaffenfreie
Gemeinde". 1600 Bürgerinnen und Bürger brachten den Antrag in den
Gemeinderat ein, auch Nottuln als "atomwaffenfrei" zu deklarieren.
Der Antrag wurde abgelehnt. Die FI erklärte daraufhin - "außerparlamentarisch"
- die Gemeinde Nottuln als
atomwaffenfrei.
* 1984
gründete sich innerhalb der FI ein kleiner Arbeitskreis
"Städtepartnerschaft mit einer osteuropäischen Stadt". Brücken in
Feindesland sollten gebaut werden. Jahrelang engagierte sich die FI für dieses
Projekt. Auch hier zunächst große Abneigung bei den bestehenden Institutionen
in Nottuln. Erst zum Ende der 80er Jahre bröckelte die Ablehnungsfront. Heute
unterhält die Gemeinde Nottuln eine lebendige Partnerschaft mit der polnischen
Stadt Chodziez.
* Seit
1986 beschäftigt sich die Friedensinitiative mit der Atomkatastrophe in
Tschernobyl. Während einer Veranstaltung mit dem ev. Pfarrer Werner Lindemann
entstand die Idee, radioaktiv verstrahlte Kinder aus Weißrußland zu einem
Ferienaufenthalt nach Nottuln einzuladen. 1990 kamen die ersten Kinder, eine
der ersten Projekte dieser Art überhaupt in der Bundesrepublik. Seitdem ist
diese Maßnahme in Nottuln eine feste Einrichtung. Mittlerweile haben Gasteltern
einen eigenen Verein gegründet: "Hilfe für Narowlja".
* In
den Jahren 88 und 89 wurden münsterlandweit über 100 Klagen gegen den
militärischen Tiefflug eingereicht. Das Zentrum des Widerstandes: Nottuln. Die
Friedensinitiative koordinierte die Klagen und das Engagement im Münsterland
von Nottuln aus. 1989 wurde der militärische Tiefflug reduziert.
* 1989
stimmte der Gemeinderat einem Antrag der Friedensinitiative zu, dem
"Solidaritätsbündnis der Städte Hiroshima und Nagasaki mit dem Ziel der
vollständigen Abschaffung aller Atomwaffen" beizutreten. Ein halbes Jahr
zuvor noch wurde der Antrag nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt. In
diesem Jahr waren die ersten Gäste aus Hiroshima in Nottuln. Sie nahmen an der
Gedenkfeier für die Opfer von Hiroshima und Nagasaki im Rhodepark teil. 1997
wird der Nottulner Bürgermeister zur Weltkonferenz der Bürgermeister nach
Hiroshima eingeladen.
* 1990
und 1991 koordinierte die Friedensinitiative den Protest auch der Nottulner
Bevölkerung gegen den Golf-Krieg. Viele Menschen aus Nottuln engagierten sich gegen diesen Krieg. Zu verhindern war er
nicht.
-
Humanitäre Hilfe -
* Seit
Beginn des Krieges im ehemaligen Jugoslawien hat die Friedensinitiative sich
damit beschäftigt. Zahlreiche Veranstaltungen informierten über Kriegsursachen
und Kriegsverlauf. Diskussionen über Interventionen wurden geführt,
einflußreiche Politiker zum Engagement aufgefordert. Im Mittelpunkt der Arbeit
jedoch steht das humanitäre Engagement. In enger Zusammenarbeit mit der
"Initiative gegen den Krieg in Bosnien" (Münster) organisiert die FI
humanitäre Projekte, z.B. Partnerschaften mit Menschen in Bosnien. Mit ca.
50.000 DM Spenden wurden die vom Krieg betroffenen Menschen in Bosnien bisher
aus Nottuln unterstützt.
* 1994
regte die Friedensinitiative eine Zusammenarbeit der Dritte Welt-Gruppen in
Nottuln an - mit Erfolg. Der Arbeitskreis "Joao Pessoa" - ein
Zusammenschluß der Entwicklungsgruppen aus Nottuln und Appelhülsen - wurde ins
Leben gerufen. Ein gemeinsames Entwicklungsprojekt wurde konzipiert. Seitdem
gibt es auch regelmäßig einen Dritte Welt-Verkaufsstand auf dem Nottulner
Wochenmarkt. Weitere gemeinsame Aktivitäten sind geplant.
* 1995
schlug die Friedensinitiative vor, auch in Nottuln Akivitäten zum 50. Jahrestag
der Befreiung durchzuführen. In Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister wurde ein
Arbeitskreis gegründet. Zahlreiche Vereine schlossen sich dem an. Zum 8. Mai
wurden Gäste aus den Partnerstädten St. Amand-Montrond und Chodziez sowie aus
Holland und Prag nach Nottuln eingeladen. Gemeinsam mit diesen "ehemaligen
Feinden" wurde diese Tage zu einem Freundestreffen: "Erinnern für die
Zukunft!"
*
Zahlreiche Reisen unternahm die Friedensinitiative in den vergangenen Jahren.
Innerhalb der Bundesrepublik führten diese zu den Brennpunkten politischer
Auseinandersetzung - so in den Hunsrück, nach Wackersdorf und nach Gorleben.
Kontakte wurde geknüpft. Politische Partnerschaften entstanden. Noch von
größerer Tragweite waren die Reisen ins Ausland: Kursk (Rußland), Chodziez
(Polen), Prag (Tschechien). über Grenzen hinweg entstanden Freundschaften, die
auch heute noch tragen.
* Seit
1990 ist die Friedensinitiative Nottuln ein eingetragener Verein. Das Finanzamt
Coesfeld bescheinigte die Gemeinnützigkeit. Spenden können nun von der Steuer
abgesetzt werden. 40 Mitglieder hat die Friedensinitiative.
- Das
Friedensfest als Modell einer friedlichen Welt -
Und
nicht zu vergessen:
* Seit
14 Jahren organisiert die Friedensinitiative unterbrochen jährlich das
"Nottulner Friedensfest". Von einem kleinen Forum hat sich dieses
Friedensfest zu einer Großveranstaltung entwickelt, zu einer festen
Institution. Zahlreiche Vereine, die Kirchen, die Parteien und Organisationen
aus den Bereichen Frieden, Umwelt, Entwicklung kommen einmal im Jahr auf dem
Kastanienplatz in Nottuln zusammen, um über Friedenspolitik - auch kontrovers -
zu diskutieren. Ein interessantes Kulturprogramm und der Festcharakter haben
diese Veranstaltung zu einer Attraktion für Nottuln und weit darüber hinaus
werden lassen. Auch hier zeigt sich Jahr für Jahr die zunehmende
Integrationskompetenz der Friedensinitiative. Der ehemalige stellvertretende
Bürgermeister von Nottuln, Gerd Holland, drückte dies in seiner Rede zum
10j"hrigen Bestehen der FI so aus: "Keine andere Veranstaltung in
unserer Gemeinde war so gut in der Lage, Kontakte zwischen allen Gruppen
unserer inzwischen pluralistischen Einwohnerschaft herzustellen und Menschen so
unterschiedlicher Denkweisen, Ansichten, Auffassungen zum Kennenlernen, zum
Gedankenaustausch und zum Feiern an einen Tisch zu bringen. So entstand jeden Sommer auf dem Nottulner
Friedensfest das Modell einer friedlichen und harmonischen Welt im kleinen, ein
Vorbild für die unfriedliche und zerrissene Welt im großen."
Daß
auch diese Welt im großen Stück für Stück friedlicher und gerechter wird, dazu
wird die Friedensinitiative Nottuln zukünftig in Zusammenarbeit mit den vielen
anderen Gruppen ihren Beitrag leisten - auch im Sinne des Konziliaren
Prozesses: für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.
Wer
interessiert ist, daran mitzuwirken: Die Friedensinitiative trifft sich jeden
Montag um 20.15 Uhr in der Alten Amtmannei.
Robert
Hülsbusch