Robert
Hülsbusch
Friedensarbeit
auf dem Land
Das
Beispiel einer westfälischen Kleinstadt
"Die
Friedensinitiative Nottuln ist ein fest etablierter Faktor im politischen
und gesellschaftlichen Leben der Gemeinde Nottuln geworden." Zu diesem
Schluss kommt Hildegard Kamp (1990), Publizistik-Studentin an der Universität
Münster, in ihrer Magisterarbeit, die sie nach einjährigem Studium
der Arbeit der Friedensinitiative (FI) anfertigte.
Als
die FI Nottuln 1981 ihre Arbeit begann, war sie alles andere als etabliert,
ein politischer und gesellschaftlicher Fremdkörper, störend,
abgelehnt. Im Vordergrund stand die Auseinandersetzung um die Stationierung
neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen, eine Debatte, die per se polarisierte
und die zudem sehr emotional geführt wurde. Nottuln selbst war bis
dahin von friedenspolitischen Diskussionen verschont geblieben. Die ersten
Versuche, diese aufzunehmen, stießen auf wenig Gegenliebe. Und nicht
zuletzt: Die Mitglieder der neu gegründeten FI waren keine Paohlbürger
1), kein Nottulner Urgestein - wie die CDU damals in einem Wahlkampfblättchen
feststellte -, sondern Zugezogene, die eh kritisch und misstrauisch betrachtet
werden.
Wie
also ist die "allmähliche Entwicklung von Ablehnung über Duldung
bis hin zur Akzeptanz" (Ohlemacher 1990, S. 9) möglich gewesen? Welche
besonderen Bedingungen bei der Friedensarbeit auf dem Land 2) sind zu berücksichtigen?
Welche Chancen bieten sich jedoch auch gerade einer ländlichen Friedensinitiative?
Darüber
soll im folgenden am Beispiel der Friedensinitiative Nottuln berichtet
werden.
Lasst
1000 Initiativen blühen -
innerhalb
der Friedensinitiative!
Nach
der Stationierung der Pershing II hat die FI Nottuln - wie viele andere
- schnell begriffen, dass sich Friedenpolitik nicht im Zählen von
Raketen erschöpfen darf. Sie erweiterte ihr Handlungsfeld enorm: Zivilschutzmaßnahmen,
alternative Verteidigungskonzepte, Städtepartnerschaften mit Gemeinden
in Osteuropa, Beratung von Kriegsdienstverweigerern, Unterstützung
von Totalverweigerern, Aktionen gegen den Tiefflug und vieles andere mehr.
Aber im Laufe der Jahre blieb sie auch hier nicht stehen. Das friedenspolitische
Arbeitsfeld wurde (und wird noch) weiter ausgedehnt:
Die
FI kümmert sich um die Asylbewerber und -bewerberinnen im Ort, unterstützt
im Rahmen des Ostermarsches ein Arbeitslosenprojekt, sucht die Zusammenarbeit
mit Dritte-Welt-Organisationen, tritt als Organisation der Anti-Apartheid-Bewegung
(AAB) bei und führt Aktionen gegen Apartheid durch (u.a. Aufruf zum
Früchteboykott):
Frieden
ist Gerechtigkeit!
Die
FI Nottuln kümmert sich um Umweltschutz, problematisiert den Autoverkehr
im Ort, fährt nach Wackersdorf und engagiert sich gegen das Zwischenlager
für atomare Brennelemente im Nachbarort Ahaus:
Frieden
schließt auch den Frieden mit der Natur ein!
Die
FI Nottuln veranstaltet Gesprächsabende zu unserer NS-Vergangenheit,
führt öffentliche Veranstaltungen zu neonazistischen Aktivitäten
im Umkreis durch, initiiert vor Ort den Widerstand gegen die Volkszählung
und engagiert sich für die "Aktion Volksentscheid":
Friedenspolitik
ist Erinnerungsarbeit, die Aufarbeitung von erfahrbarer oder erlebter Geschichte!
Die
FI Nottuln mischt sich aktiv in die Kommunalpolitik ein, hält es sich
offen, sich zu allen Themen zu äußern. Ziel ist es, die politische
Kultur und damit das Klima in der Gemeinde zu verbessern und zu vermenschlichen:
Frieden
beginnt im Nahbereich!
Deutlich
wird: Die FI Nottuln hat sich entwickelt zu einer Art Arbeitskreis "Kritischer
Bürger". Dennoch: die Friedenspolitik im engeren Sinne bleibt Schwerpunkt
der Arbeit unserer Initiative. Aber darüber hinaus sind alle anderen
Politikbereiche (ohne Ausnahme) möglich. Jeder hat die Möglichkeit,
sein Thema einzubringen und die Organisation der FI zu nutzen. Dass die
FI Nottuln so arbeitet ist notwendig. Viele Initiativen - so den Volkszählungsboykott
- hätte es organisiert in Nottuln sonst nicht gegeben. Es ist aber
auch nicht sinnvoll und für die Erreichung der gesetzten Ziele nicht
angemessen, in so einer kleinen Gemeinde wie Nottuln, viele weitere Initiativen
ins Leben zu rufen. Diese würden die vorhandenen politischen Kräfte
zersplittern.
Friedenspolitik
"kommunalisieren"!
Die
Erfahrung zeigt, dass Informationen über allgemeine friedenspolitische
Themen wie Mittelstreckenraketen, Zivilschutz usw. auf dem Land wenig Aufmerksamkeit
finden, dass Informationsveranstaltungen dazu außer von sowieso schon
Interessierten wenig besucht werden. Die Distanz ist zu groß. Deshalb
kommt es wesentlich darauf an, diese Themen für die Bevölkerung
konkret erfahrbar zu machen, ihre Lebenszusammenhänge mit einzubeziehen.
So wurden in Nottuln Zivilschutzmaßnahmen am Beispiel des Atombunkers
unter der Hauptschule diskutiert, aber auch davon unabhängig mit dem
örtlichen DRK erörtert. Eine friedenspolitisch orientierte Außenpolitik,
Entspannungspolitik wird erfahrbar durch die Organisation einer Partnerschaft
mit einer Gemeinde in Osteuropa.
Wichtig
dabei war und ist: Jedes Thema lässt sich "kommunalisieren"3). Dabei
geschieht die Einbeziehung der Kommunalpolitik am wirksamsten durch Bürgeranträge4).
Fast zu jedem friedenspolitischen Thema lassen sich Anträge so formulieren,
dass sie in die Kompetenz der Kommunalpolitik fallen5) und nicht sang-
und klanglos in der Versenkung verschwinden: "Beitritt zum Solidaritätsbund
der Städte Hiroshima und Nagasaki", "Resolution gegen Atomtransporte
über das Gemeindegebiet", "Zuschussantrag für Aktionen der FI",
"Beitritt der Gemeinde zur Bundeskoordination der Tieffluggegner" usw.
Ziel
dieser Anträge ist vor allem, dass friedenspolitische Themen auch
auf Kommunalebene, also im Rat, diskutiert werden und so über die
Presse öffentlichkeitswirksam Verbreitung finden. Von großer
Bedeutung dabei ist die eigene vorbereitete Öffentlichkeitsarbeit,
die außerparlamentarische Einbettung der parlamentarischen Debatte.
Die parlamentarische Diskussion und Entscheidung geben der Friedensarbeit
einen zusätzlichen Sinn und einen konkreten kommunalen Bezug, dienen
quasi als Katalysator der eigentlichen friedenspolitischen Diskussion.
Diese Funktion erfüllt der Bürgerantrag auch, wenn er nicht beraten
bzw. negativ entschieden wird. Eine Resonanz in der Presse ist auch dann
so gut wie sicher.
Zu
Beginn - in den Jahren 82 und 83 - wurden die Bürgeranträge häufig
erst gar nicht auf die Tagesordnung des Rates genommen ("Keine Zuständigkeit!").
Hartnäckiges Nachfragen, öffentliche Proteste z.B. in Form von
Leserbriefen und die zunehmende Anerkennung der FI-Arbeit auch bei konservativen
Gruppen führten in den letzten Jahren dazu, dass die Anträge
zumindest ausführlich diskutiert und z.T. auch positiv beschieden
wurden.
Nicht
Sprachrohr, sondern Motor der friedenspolitischen Diskussion!
"Die
FI will Lernprozesse aktivieren, die die Menschen selbst motiviert, ihre
Interessen zu artikulieren und die hergestellte Öffentlichkeit in
bezug auf die Friedensthematik in Frage zu stellen." (Kamp 1990, S. 156).
Eine anspruchsvolle Zielvorstellung! Jedoch nur so ist eine erfolgreiche
Friedensarbeit zu realisieren. Der Weg dahin war weit:
Friedenarbeit
gerät immer dann in Gefahr, Ohnmacht zu reproduzieren oder sogar zu
produzieren, wenn sie nur darauf ausgerichtet ist, vermeintlich richtige
Erkenntnisse weiterzugeben, zu vermitteln, zu verkaufen. Zeitungen, Diskussionsveranstaltungen,
Friedensfeste werden in diesem Sinne instrumentalisiert. Möglichst
geschickte Verkaufsstrategien werden entwickelt. Die Erfahrung zeigt, dass
die Bevölkerung solche Verkaufsstrategien schnell erkennt. Das gilt
vor allem auf dem Land, da hier die Mitglieder der FI fast alle persönlich
bekannt sind. Bei einer Zugehörigkeit zur Friedensinitiative wird
ihnen zunächst unterstellt, dass sie die Bürger doch nur von
ihrer festen eigenen Meinung überzeugen wollen. Finden diese sich
darin bestätigt, so reagieren sie sehr sensibel. Sie fühlen sich
nicht ernstgenommen, sind nicht Subjekt, sondern Objekt. Wieder einmal!
Rückzug und Blockaden sind die Folgen. Diese Erfahrung machte die
FI immer wieder.
Friedensarbeit
kann nur zündend sein, Bewegung bringen, wirkliches Bewusstsein schaffen,
wenn sie glaubhaft daran interessiert ist, "echte" Diskussionen anzuregen.
Und diese entzündet sich nur durch Kontroverse. Neben der Notwendigkeit,
einen eigenen friedenspolitischen Standpunkt zu beziehen, muss es also
erste Aufgabe der Friedensarbeit sein, unterschiedliche friedenspolitische
Positionen an einen Tisch zu bekommen, friedenspolitische Foren, die alle
politischen Positionen beinhalten, zu organisieren. So nimmt schon seit
Jahren an dem jährlich stattfindenden Friedensfest in Nottuln natürlich
auch die Bundeswehr mit Jugendoffizier und Informationsstand teil. So vertritt
dort auch die CDU einen völlig anderen Standpunkt als die DKP. So
hat auch die "Kameradschaft ehemaliger Soldaten" die Möglichkeit,
ihre Positionen (die für Friedensbewegte nicht immer ganz leicht zu
ertragen sind) in der Friedenszeitung der FI zu verbreiten. Die Folge:
Es wird überhaupt und natürlich z.T. sehr heftig über Friedens-
und Sicherheitspolitik diskutiert. Das Anliegen, friedenspolitische Diskussionen
anzuregen, und die FI selbst werden ernstgenommen. Eine so konzipierte
Friedensarbeit ist auch ein Beitrag zu einer echten, demokratischen Streitkultur.
"Hier
kennt jeder jeden!"
Intensive
Kontaktarbeit ohne Berührungsängste
Die
CDU, die Kameradschaft ehemaliger Soldaten, die Kirchen - es gibt in Nottuln
keine politisch und gesellschaftlich relevante Organisation, zu der die
FI nicht den Kontakt gesucht hat, bei der die FI nicht zu Gast war bzw.
die nicht Einladungen der FI gefolgt w„re. Berührungsängste und
Bedenken sind hier fehl am Platz. Gerade die Bereitschaft, mit konservativen
Meinungsträgern zu diskutieren und ihnen großzügig Darstellungsmöglichkeiten
einzuräumen, macht die FI zu einem souveränen und ernstzunehmenden
Gesprächspartner.
Gerade
hier kommen jedoch auch die besonderen Bedingungen der Friedensarbeit auf
dem Land zum Tragen. Politik ist hier nicht anonym, sie ist immer mit Personen
verbunden. Jeder kennt dabei jeden. Schnell ist auch eine persönliche
Nähe hergestellt. Die große personelle Kontinuität 6) fördert
dies noch. So wird zum Bürgermeister schnell mal telefonisch Kontakt
aufgenommen. Bürgeranträge werden im Vorfeld mit den Fraktionsvorsitzenden
diskutiert, über Leserbriefauseinandersetzungen wird beim nächsten
zufälligen Treffen im Dorf persönlich gesprochen.
Es
lässt sich festhalten: Kooperation wird durch die ländliche Struktur
erleichtert; Konfrontation, notwendige Konfrontation jedoch häufig
erschwert. Durch die persönliche Nähe entstehen aber auch andererseits
Abhängigkeiten. Die persönliche "Haftung" für die eigenen
Aktivitäten ist größer. Bei jeder Aktionsplanung, bei jedem
politischen Vorstoß spielt das persönliche Bekanntsein in der
Gemeinde und das persönliche Kennen der Kontrahenten untereinander
immer eine bedeutende Rolle. Nicht wenige Aktionen (z.B. das kreative Bemalen
des Atombunkers unter der Hauptschule) unterblieben aus Rücksicht
auf persönliche Beziehungen zwischen der FI und Mitgliedern anderer
politischer Organisationen.
Der
"gemeine" Bürger als Friedensbewegter
Eine
größere "Szene" als Adressat friedenspolitischer Aktivitäten
- wie sie in der Stadt existiert - gibt es auf dem Land nicht. Deshalb
gilt fr die dortige FI sicher noch mehr: alle Bürger sind Zielgruppe
der Friedensarbeit: die unterschiedlichsten Menschen mit unterschiedlichem
Wissensstand, mit unterschiedlichem politischen Bewusstsein, mit unterschiedlicher
Bereitschaft, sich zu engagieren, mit unterschiedlicher Risikobereitschaft.
Die Friedensarbeit auf dem Land hat dem Rechnung zu tragen. Vielfältige
Aktionen mit sehr differenzierten Formen, sich zu artikulieren, mit unterschiedlicher
Intensität, mit unterschiedlichem "Coming out", mit unterschiedlicher
Risikobereitschaft sind zu finden. So machte die FI während des Golfkrieges
vielseitige Angebote an Handlungsmöglichkeiten. Sie reichten von Aktionen,
die von vielen Menschen mitgetragen werden können (z.B. das Aufkleben
von NEIN-Schildern an Fenster und Autos) bis hin zu konkreten Formen der
Verweigerung (Kriegsdienstverweigerung, Steuerverweigerung). Die Resonanz
auf diese Angebote differiert naturgemäß sehr stark. Dies fand
auch Ohlemacher in seiner Analyse der Anti-Tiefflugarbeit (1990, S.10)
heraus: "Die Zahl der bei risikolosen und unaufwendigen Aktionen mobilisierten
Personen ist zwar beachtlich - so z.B. die 1000 Unterzeichner der Remscheider
Mahnung -, steigt jedoch der Aufwand und das Risiko, so schrumpft die Zahl
der Teilnehmer erheblich: etwa 100 Personen sind noch bereit, sich an Ballonaktionen
zu beteiligen, nur dreißig fahren mit zu Demonstrationen." Noch weniger
sind engagiert bei der aktiven Vorbereitung von Aktionen. Insgesamt jedoch
sind - dank der Vielschichtigkeit der Handlungsmöglichkeiten und der
thematischen Vielseitigkeit - immer wieder Bürger in Nottuln ansprechbar.
Friedensarbeit
ist ™ffentlichkeitsarbeit7)
Gerade
in den letzten Jahren findet die Arbeit der FI eine große weiter
zunehmende Resonanz in den örtlichen und berörtlichen Medien
(Münstersche Zeitung und Westfälische Nachrichten, Regionalfunk
des WDR, Frankfurter Rundschau). Die Konsequenzen der schon beschriebenen
Entwicklungen werden hier deutlich. Von großer Bedeutung ist auch
hier personelle Kontinuität. Seit 20 Jahren macht dasselbe FI-Mitglied
die Pressearbeit. Über diesen langen Zeitraum konnten intensive Kontakte
zu den Redakteuren vor Ort aufgebaut werden, die z.T. in den persönlichen
Bereich hineingehen. Gegenseitiges Vertrauen wurde so aufgebaut. Andererseits
sind die Medien auf dem Land auf Informationen von Organisationen angewiesen.
Es gibt hier nicht den übervollen
Nachrichtenmarkt
wie in der Stadt. Oft sind die Lokalredakteure für die schon fertig
geschriebenen Berichte dankbar. Sie sind eine wichtige Stütze ihrer
Arbeit. Medien und FI arbeiten hier "Hand in Hand" (Kamp 1990, S. 134).
Die Folge: Fast alle Pressemitteilungen und Berichte, die die FI an die
Medien gibt, werden mit nur geringfügigen Änderungen, häufig
aber auch wörtlich abgedruckt oder gesendet. Auf "Gegenöffentlichkeit"
in Form einer eigenen Zeitung konnte daher die FI Nottuln in den letzten
Jahren verzichten. Sie ist auch in der etablierten Öffentlichkeit
ständig präsent. Eigene Publikationen dienen dazu, gezielt und
adressatengerecht konkrete Bevölkerungsgruppen anzusprechen. So verschickt
die FI Nottuln regelmäßig an ca. 150 Nottulner Haushalte Rundbriefe,
mit denen sie ihre "Sympathisanten" über friedenspolitische Entwicklungen
in Nottuln informiert oder zur Mitarbeit an bestimmten Projekten aufruft.
Vernetzung
und soziale Beziehungen -
das
Rückgrat der FI
Im
Laufe ihrer Jahre hat die FI Nottuln eine Reihe von Kontakten aufgebaut,
die für ihre Arbeit sehr wichtig geworden sind (siehe Graphik S.?).
Sie
ist Mitglied in vielen bundesweiten und regionalen Organisationen. Von
dort erh„lt sie wichtige Impulse für ihre Arbeit, gibt jedoch auch
selbst Anstöße. So arbeitet sie selbstverständlich mit
der sicher wichtigste Organisation zusammen, mit dem "Netzwerk Friedenskooperative",
ehemals "Koordinierungsausschuss der Friedensbewegung". Durch den Rundbrief
des "Netzwerkes"8) wird die FI sowohl inhaltlich als auch organisatorisch
auf dem Laufenden gehalten. Viele Aktionen, die die FI vor Ort anregt und
durchführt, sind als Idee dem Rundbrief entnommen worden. Gleichzeitig
informiert sie fortlaufend das "Netzwerk" über eigene Aktivitäten
und Konzepte friedenspolitischer Arbeit, die nicht selten dann wieder in
den Rundbrief Eingang finden und so auch bundesweit Anstoß geben.
In
gleicher Weise arbeitet die FI Nottuln mit der Bundeskoordination der Bewegung
gegen militärische Flüge9) zusammen. In dieser Institution haben
sich zahlreiche Organisationen und Bürgerinitiativen auf Bundesebene
zusammengeschlossen, um den Kampf gegen die Militärflüge, besonders
gegen den Tiefflug, zu koordinieren. Auch in diesem Bereich konnte die
FI Nottuln Akzente setzen.
Auf
Bundesebene ist die FI weiter Mitglied im "Bund für Soziale Verteidigung"10),
im "Komitee für Grundrechte und Demokratie"11) und in der "Anti-Apartheid-Bewegung"12).
Diese Mitgliedschaften sind einseitiger in dem Sinne, dass die FI Nottuln
vor allem die Rundschreiben dieser Organisationen erhält und vorgeschlagene
Aktionen vor Ort mitträgt. Zwar besuchen FI-Mitglieder auch regelmäßig
die Haupt- oder Vollversammlungen dieser Organisationen, jedoch von einer
Mitbestimmung deren Politik kann nicht die Rede sein.
Weitere
wichtige Informationen erhält die FI Nottuln durch folgende Publikationen:
"Mediatus - Zeitschrift für handlungsorientierte Friedensforschung"13),
"Frieden und Abrüstung - Informationen und Dokumente aus der internationalen
Friedensdiskussion"14) und den "Unkommentierten Pressespiegel"15)
Neben
dieser Zusammenarbeit mit bundesweiten Organisationen unterhält die
FI Nottuln zahlreiche Kontakte zu regionalen Gruppen. So koordiniert sie
z.B. die Arbeit der "Bürgerinitiative Münsterland - Bürger
gegen Fluglärm". Hier haben sich die Gruppen aus dem Münsterland,
die sich gegen die Tiefflug in der Area 2 engagieren, zusammengeschlossen.
So koordiniert die FI auch die Arbeit der "Friedensversammlung des Kreises
Coesfeld", des Zusammenschlusses der Friedensgruppen in diesem ländlichen
Kreis. Auch mit einzelnen Anti-Atomgruppen arbeitet die FI zusammen - so
mit der BI gegen die WAA in Wackersdorf, mit der BI "Kein Atommüll
nach Ahaus" und mit der BI Lüchow-Dannenberg (Gorleben). Punktuelle
Kontakte und Beteiligungen an deren Aktionen kennzeichnen diese Zusammenarbeit.
Im Zusammenhang mit dem Bemühen um eine Städtepartnerschaft zwischen
Nottuln und einer Stadt in Osteuropa suchte die FI lange den Kontakt zur
"Gesellschaft zur Förderung der deutsch-sowjetischen Beziehungen Münster/Münsterland".
Mit gemeinsamen Kultur- und Informationsveranstaltungen wurde versucht,
die Sowjetunion den Bürgern in Nottuln n„herzubringen, Feindbilder
abzubauen, Grundlagen für Versöhnung und Völkerverständigung
zu schaffen. Mit Erfolg! So unterhält die FI seit einigen Jahren nun
schon Kontakte zum Friedenskomitee in Kursk (Russland), die vielfältige
Unterstützung durch die Gemeinde Nottuln finden. So wurde im Gemeinderat
beschlossen, eine Partnerschaft mit der polnischen Stadt Chodziez einzugehen.
Die intensive Vorarbeit dazu leistet das Nottulner Komitee für Städtepartnerschaften,
mit dem die FI in dieser Frage eng zusammengearbeitet hat und in dessen
Vorstand mittlerweile Mitglieder der FI gewählt wurden.
Dass
die FI auch mit den anderen Vereinen aus Nottuln - dazu gehören auch
die Kirchen und die politischen Parteien - zusammenarbeitet, wurde bereits
oben beschrieben.
Eine
ebenso große Bedeutung für die Arbeit der FI haben die sozialen
z.T. sehr persönlichen Kontakte der FI-Mitglieder untereinander. Die
FI versucht ganz bewusst, emotionale, den persönlichen Zusammenhalt
fördernde Elemente in ihrer politischen Arbeit zu stärken. Dazu
gehört z.B., dass die FI regelmäßig gemeinsame Reisen z.B.
in den Westerwald, nach Wackersdorf oder in den Hunsrück unternimmt.
Dies schließt jedoch auch Freizeitaktivitäten wie die Fahrt
in den Mai oder gemeinsame Feste ein. Ein Stück "Vereinsleben" wird
organisiert und übernimmt auch die Funktion, für kulturelles
Leben, das es in dieser Form in Nottuln nicht gibt, zu sorgen. Die Folgewirkungen
für die FI-Arbeit sind positiv. Die "Verschränkung von Politischem
und Privaten" hat die Wirkung eines "Regelkreises" (Ohlemacher 1990, S.
6): Durch politische Aktivitäten entstehen neue soziale Beziehungen,
die wiederum den Zusammenhang der politischen Arbeit stabilisieren.
Friedenskontakte
und Friedensbewegung in den 90er Jahren
"Es
wartet auf die Friedensinitiative ein gewaltiges Aufgabenfeld von beharrlicher
Arbeit."
Im
Dezember 1991 feierte die Friedensinitiative ihr 10-jähriges Bestehen.
Während eines Empfangs aus diesem Anlass schloss der stellvertretende
Bürgermeister Gerd Holland mit diesen Worten seine Laudatio.16)
Und
dabei hatte sich noch vor einem Jahr etliche Mitglieder der FI Nottuln
überlegt, nach dem 10-jährigen mit der FI-Arbeit aufzuhören.
Viele Dinge sind auf den Weg gebracht. Und es gibt so viele andere spannende
Aufgaben - in der Politik, im sozialen Bereich, in der Kultur oder einfach
nur in der privaten Sphäre.
Die
Ereignisse des Jahres 1991 haben dann jedoch gezeigt, wie notwendig auch
weiter die Arbeit einer Friedensinitiative vor Ort ist:
Der
Golfkrieg machte deutlich, dass die große Auseinandersetzung zwischen
arm und reich, zwischen Nord und Süd gefährliche Dimensionen
annimmt. Ganz zu schweigen von der gen Himmel schreienden, täglich
für Tausende von Menschen tödlichen Ungerechtigkeit, die das
Verhältnis zwischen den Industrienationen und den Ländern der
3. Welt prägt.
Der
Golfkrieg machte deutlich, dass auch heute noch - trotz weltweiter Friedensbemühungen,
trotz weltweiter Entspannungspolitik, trotz KSZE - in der internationalen
Politik, auch auf Seiten der "großen" Demokratien, die Bereitschaft
vorhanden ist, Kriege zu führen, auch Kriege, die die Gefahr der Eskalation
bis hin zu Weltkriegen in sich bergen.
Der
Golfkrieg machte deutlich, dass diese Politik trotz jahrelanger Friedensarbeit,
die ohne Zweifel auch große Veränderungen im Bewusstsein der
Menschen bewirkte, von einer großen Mehrheit der Bevölkerung
in unseren Ländern mitgetragen wird.
Hinzu
kommen die vielen neuen regionalen Kriege in Osteuropa, die unserer Engagement
verlangen. Gerade die Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Antikriegsgruppen
im auseinanderfallenden Jugoslawien zeigt, wie wichtig es ist, auch als
kleine Bürgerinitiative tragfähige internationale Kontakte aufzubauen
- möglichst bevor Krisen und Kriege die verschiedenen Regionen erschüttern.
Und
so wird die FI Nottuln in den 90er Jahren ihre Kontakte nach Osteuropa
vertiefen. Fest geplant ist jetzt schon, den Austausch im privaten und
kulturellen Bereich mit der Stadt Kursk zu intensivieren, - wie 1991 schon
- Ferienfreizeitmaßnahmen für Kinder aus Tschernobyl auch in
den nächsten Jahren in Nottuln möglich zu machen, daran mitzuwirken,
die beginnenden Städtepartnerschaft mit der polnischen Stadt Chodziez
auszugestalten.
Fest
geplant ist jetzt schon, die Notwendigkeit einer gerechten Entwicklungspolitik
stärker zu thematisieren. Mit bestehenden 3. Weltgruppen in Nottuln
und Umgebung wird die FI die Zusammenarbeit suchen und weiter intensivieren.
So leisten jetzt schon einzelne Mitglieder der FI aktiv in ihrem kleinen
Bereich Beträge zu einer gerechten Entwicklungspolitik, indem sie
sich der "Aktion Selbstbesteuerung"17) angeschlossen haben. Darüber
hinaus wird die FI nicht müde werden, auf den Zusammenhang zwischen
den riesigen Rüstungsausgaben und der Unterentwicklung eines Großteil
unserer Erde hinzuweisen. Ein utopiebewusstes und in die Zukunft weisendes
Engagement sieht sie in der BoA-Kampagne ("Bundesrepublik ohne Armee").
Jede weitere Entwicklung im Rüstungs- und Militärbereich - sei
es der militärische Tiefflug direkt über Nottuln, sei es, dass
sich die Nato neue Strategien für ihr eigenes Überleben ausdenkt
-wird kritisch begleitet werden.
Die Entmilitarisierung ist und bleibt das - utopische - Ziel.
Nicht
zuletzt wird die zunehmende Gewaltbereitschaft in unserem eigenen Land
die Arbeit der FI bestimmen. Der sich breit machende Hass gegen Ausländer
und Flüchtlinge verlangt Aufklärung, aber vor allem konkrete
Solidarität. Die FI Nottuln hat hier in den letzten Jahren zunehmend
eine Integrationskompetenz erlangt. Der stellvertretende Bürgermeister
aus Nottuln drückte dies - bezogen auf das alljährlich stattfindende
Friedensfest - in seiner Rede zum 10-jährigen Bestehen der FI so aus:
"Keine andere Veranstaltung in unserer Gemeinde war so gut in der Lage,
Kontakte zwischen allen Gruppen unserer inzwischen so pluralistischen Einwohnerschaft
herzustellen und Menschen so unterschiedlicher Denkweisen, Ansichten, Auffassungen
zum Kennen lernen, zum Gedankenaustausch und zum Feiern an einem Tisch
zu bringen. So entstand jeden Sommer auf dem Nottulner Friedensfest das
Modell einer friedlichen und harmonischen Welt im kleinen, ein Vorbild
für die unfriedliche und zerrissene Welt im großen."
Dass
auch diese Welt im großen Stück für Stück friedlicher
und gerechter wird, dazu wird die Friedensinitiative Nottuln auch zukünftig
in Zusammenarbeit mit den vielen anderen Gruppen ihren Beitrag leisten.
Anmerkungen:
1
Ein Begriff aus dem Münsterland. Er entstammt der Masematte-
Sprache.
Gemeint sind damit Bürger, deren Vorfahren schon vor
Generationen
auf den "Pfählen" das Münsterland bewohnten.
2
Die nordrhein-westfälische Gemeinde Nottuln, ca. 20 km von
Münster
entfernt, zählt 15.000 Einwohner, ist ländlich
strukturiert,
konservativ und katholisch geprägt.
3
Siehe auch die vielen Vorschläge von Geitmann (1988)
4
In NRW nach§ 6 der Gemeindeordnung.
Danach hat jede/r Bürger/in
das
Recht, Anträge an den Gemeinderat zu stellen. Diese werden,
wenn
sie Belange der Gemeinde betreffen, durch den Bürgermeister
auf
die Tagesordnung der Ratssitzung gesetzt und dann beraten.
5
Ob Kommunalparlamente (auch im rechtlichen Sinne) kompetent
sind,
sich zu Fragen der Friedens- und Sicherheitspolitik zu
äußern,
wurde besonders intensiv während der Debatte um die
Erklärungen
von Städten und Gemeinden zu atomwaffenfreien Zonen
diskutiert.
Gerichte und juristische Abhandlungen beantworteten
diese
Frage unter Hinweis auf den Lokalbezug der
friedenspolitischen
Entscheidungen eindeutig mit Ja.
(Siehe
-
die Entscheidung des OVG Lüneburg; AZ: A: A 212/83, A 220/83,
A
240/83;
-
Huber, Bertold: Die Erklärung des Gemeindegebietes zur
"atomwaffenfreie
Zone"; in: NVwZ 1982 S. 662 - 664
-
Däubler, Wolfgang: Atomwaffenfreie Zonen in der
Bundesrepublik;
Zeitschrift für Rechtspolitik, Mai 1983 S. 113
-
136
6
Viele der derzeitigen FI-Mitglieder sind über Jahre schon aktiv.
7
Siehe auch: Loffelholz, Martin: ..?.........
8
"Friedensforum" - Rundbrief der Friedensbewegung, zu beziehen
beim
Netzwerk Friedenskooperative, Römerstr. 88, 5300 Bonn 1
9
Bundeskoordinator: Werner May, Obere Schlossgasse 3, 6500
Biebelnheim,
Tel. 06733/7897. Bei May sind alle wichtigen
Informationen
bezüglich Militärflüge und des Engagements dagegen
sowie
das regelmäßig erscheinende "Info aus der Bewegung gegen
militärische
Flüge" zu erhalten.
10
Im März 1989 haben sich zahlreiche Friedensorganisationen im
"Bund
für Soziale Verteidigung" (BSV) zusammengeschlossen, um
das
Konzept der Sozialen Verteidigung bekannter zu machen und
weiterzuentwickeln.
Geschäftstelle: Friedensplatz 1 a 4950
Minden.
11
Das "Komitee für Grundrechte und Demokratie" besteht aus einem
kleinen
Mitgliederkreis von etwa 100 engagierten Prominenten
und
Experten zu rechtlichen und spezifischen Fragen der Grund-
und
Menschenrechte. Es ist kein Zusammenschluss von
Basisgruppen,
sondern will vielmehr Hilfestellungen und
Orientierungen
für Initiative, Gruppen und bewegte einzelne
geben.
Dadurch, dass viele der Mitglieder des Komitees in
Projekten,
lokalen und übergreifenden Initiativen arbeiten, hat
es
indirekt auch eine Vernetzungsfunktion. Zum repräsentativen
Beirat
des Komitees gehören so bekannte Persönlichkeiten wie
Heinrich
Albertz, Karola Bloch, Walter Dirks, Helmut
Gollwitzer,
Robert Jungk... Sprecher des Komitees ist Andreas
Buro,
Sekretär Klaus Vack. Adresse: An der Gasse 1, 6121
Sensbachtal.
12
In der "Anti-Apartheid-Bewegung" (AAB) haben sich auf
Bundesebene
viele Gruppen und Initiativen, die in diesem
Bereich
arbeiten, zusammengeschlossen. Darüber hinaus sind
zahlreiche
lokale und regionale AAB-Gruppen entstanden. Die
"Anti-Apartheid-Nachrichten",
die Publikation der AAB
erscheinen
regelmäßig. Adresse: AAB, Blücherstr. 14, 5300 Bonn.
13
Zu beziehen beim Forschungsinstitut für Friedenspolitik e.V.
Lohgasse
3, 8120 Weilheim.
14
Zu beziehen bei der Initiative für Frieden, internationalen
Ausgleich
und Sicherheit (IFIAS), Strahlsunder Weg 50, 5300
Bonn
1.
15
Herausgegeben von der Deutschen Friedensgesellschaft -
Vereinigte
Kriegsdienstgegner (DFG-VK), Strahlsunder Weg 50,
5300
Bonn 1.
16
Siehe Westfälische Nachrichten, 16.12.1991
17
Die "Aktion Selbstbesteuerung e.V" (asb) ist aus einem
Zusammenschluss
von 3.Welt-Gruppen hervorgegangen. Die
Mitglieder
dieser Aktion verpflichten sich 2 - 3 % ihres
Gehaltes
als freiwillige "Entwicklungssteuer" in einen Fond zu
zahlen,
aus dem sowohl "fortschrittliche" Projekte in den
Entwicklungsländern,
aber auch entwicklungspolitisches
Engagement
in der Bundesrepublik gefördert werden. Alle
ordentlichen
Mitglieder entscheiden ber die Vergabe der Gelder
mit.
Voraussetzung dazu ist eine kontinuierliche Beschäftigung
mit
Entwicklungspolitik. Geschäftsstelle: Lerchenstr. 84, 7000
Stuttgart
1.
Literatur
Geitmann,
R., 1988: Kommunale Friedensarbeit, in: Infodienst "Kommunale Friedenarbeit
3/88, S. 4 - 7.
Kamp,
H., 1990: "Gegenöffentlichkeit" am Beispiel der Friedensinitiative
Nottuln. Hausarbeit zur Erlangung des Magistergrades der Philosophischen
Fakultät der Westf. Wilh.-Universtät zu Münster.
Ohlemacher,
Th., 1990: Unveröffentlichter Auswertungsbericht einer Untersuchung
der Anti-Tiefflugarbeit der Friedensinitiative Nottuln, Wissenschaftszentrum
Berlin.
Der
Autor ist von Beruf Lehrer, wohnt in Nottuln und hat vor 10 Jahren die
Friedensinitiative Nottuln mitgegründet.