Für Krieg gibt es keine Ausrede!

Das neue Drewermann-Buch „Krieg ist Krankheit, keine Lösung“[1]

- eine Pflichtlektüre für Friedensbewegte, meint Robert Hülsbusch, Bundessprecher der DFG-VK

Die Reaktion von Winni Nachtwei, aus der Friedensbewegung kommend und seit acht Jahren grünes Mitglied des Bundestages, war schon heftig: Das könne er nicht akzeptieren! Das gehe zu weit! Was war passiert?

Im Rahmen der kontinuierlichen Korrespondenz zwischen der Friedensinitiative Nottuln, deren Mitglied Nachtwei ist, und dem Bundestagsabgeordneten hatten die Nottulner gegen den Krieg in Afghanistan und besonders gegen die Politik der Bundesregierung in dieser Sache Position bezogen:

„Den Krieg in Afghanistan lehnen die Friedensbewegten in Münsterland weiter ab. Daran ändert auch nichts der `erfolgreiche´ Kriegsverlauf. Daran ändern auch die Chancen, die es möglicherweise jetzt für einen Neuanfang in Afghanistan gibt, nichts.

Wer diesen Krieg unterstützt, der trägt nicht nur die Verantwortung für diese – positive – Entwicklung. Der trägt auch die Verantwortung für die Art und Weise, wie diese Entwicklung herbeigebombt wurde, für Flächenbombardements, für Splitterbomben, die das Land weiter verminen, für Benzinbomben, für die Bombardierung von Städten und DRK-Lagern, der trägt auch Verantwortung für die Toten – die Schätzung geht gegen 3000 - , der trägt auch die Verantwortung für die Käfighaltung von Gefangenen, für die Einrichtung von Militärgerichten, der trägt auch die Verantwortung für eine weitere Entwicklung hin zu einer `Enttabuisierung des Militärischen´.“

Was gibt es dagegen zu sagen? Gibt es eine geteilte Verantwortung für die Folgen des Krieges? Die rot-grüne Politik, die Soldaten auch zu Kampfeinsätzen nach Afghanistan schickte, trägt für den Neuanfang in dem geschundenen Land die Verantwortung, die Amerikaner die für die oben beschriebenen Folgen? Jeder, der einen Krieg, wie auch immer unterstützt, muss wissen, was der preußische General und Militärtheoretiker Carl von Clausewitz vor zweihundert Jahren konstatierte: Der Krieg trägt seinem Wesen nach die Tendenz in sich, zum Äußersten zu gehen. Zitiert wird Clausewitz in dem neuen Buch von Eugen Drewermann „Krieg ist Krankheit, keine Lösung,“ ein Buch, das hoffentlich eine große Leserschaft findet und das  in einer Zeit, in der Krieg wieder als Mittel der Politik verstanden wird, bitter notwendig ist. „Der eine gibt dem anderen das Maß, jeder reagiert nur noch auf die Aggression des `Gegners`, des `Todfeindes´, wenn einmal Krieg ist,“ erfährt der Leser/die Leserin schon auf den ersten Seiten des Buches, das als Gespräch zwischen Drewermann und Jürgen Hoeren, Ressortleiter Kulturelles Wort beim SWR, Baden-Baden, konzipiert ist. „Und die Spirale der Blutmühle dreht sich ungehemmt immer weiter, immer weiter – bis eine der kämpfenden Parteien durch die Vernichtung oder die Niederwerfung der anderen ihr Ziel erreicht zu haben glaubt.“ (S. 7 f) Die Schlussfolgerung, die Drewermann daraus zieht: „Genau dieser Gedanke aber, dass man eines bestimmten Zieles wegen über Hekatomben von Leichen hinweggehen zu müssen meint – und zu dürfen glaubt-, dieser unmenschliche Gedanke ist selbst die Widerlegung jeder akzeptablen Rechtfertigung des Krieges.“ Darum lautet die für Drewermann alles entscheidende – rhetorische - Frage: „Können wir Humanität wirklich mit Mitteln verteidigen, die all das zerstören, was unter dem Begriff der Menschlichkeit subsumierbar ist?“ (S. 8) Drewermann setzt sich mit dieser grundsätzlichen, mit dieser radikalen Ablehnung von Gewalt und Krieg auch ab von dem Wort der katholischen Bischöfe „Gerechter Friede“[2]. In diesem Bischofswort wird mit einem bemerkenswerten Engagement gegen Krieg und Gewalt argumentiert und für Prävention auch im Sinne von Gerechtigkeit Position ergriffen – eine gute Grundlage für einen intensiven Dialog zwischen Friedensbewegung und katholischer Kirche. Dennoch akzeptieren die Bischöfe, wenn auch in absoluten Ausnahmesituationen und mit hohen Auflagen (keine Rachegedanken, keine Unverhältnismäßigkeit der Mittel, größtmöglicher Schutz für Zivilisten), als ultima ratio militärische Gewalt. Für Drewermann undenkbar:  Militärische Gewalt, Krieg, ist prinzipiell abzulehnen: „Sterben müssen wir irgendwann alle, aber töten sollten wir niemals, und wir sollten uns nicht einreden lassen, es sei unverantwortlich, wenn wir es nicht lernen.“ (S. 61).  Und weiter: „Woran wir Deutsche niemals mehr uns beteiligen sollten, ist der Krieg im Prinzip. Man greift nicht ein ganzes Land an, um einen einzigen Terroristen zu fangen, man riskiert nicht Tausende von Toten als `Kollateralschäden´, wenn man wirklich Menschen helfen will, man nimmt nicht Millionen von Flüchtlingen im afghanischen Winter in Kauf, wenn einem ernsthaft Menschlichkeit ein Anliegen ist... Es ist immer wieder derselbe Widerspruch: Wer Frieden will, muss mit dem Frieden beginnen, nicht mit dem Krieg.“ (S. 68). Wie Gandhi argumentiert Drewermann: „Der Friede ist der Weg, nicht das Ziel.“ Die Welt könne nur gerettet werden, wenn man dem Krieg prinzipiell abschöre und keine Ausrede mehr gelten lasse (S. 99).   

An dieser Stelle geht der Autor mit der Friedensbewegung hart ins Gericht („Die Schwächen der Friedensbewegung“, S. 61 ff). Diese hätte nie ernsthaft einen prinzipiellen Pazifismus artikuliert. Als Beispiel führt Drewermann die Auseinandersetzung um die Nachrüstung Anfang der 80er Jahre und das Engagement gegen den Golfkrieg an: In beiden Debatten hätten Angst-Argumente im Vordergrund gestanden, Angst vor einem Krieg mitten in Europa, Angst vor einer Ausweitung des Golfkrieges zu einem Flächenbrand, der möglicherweise zu einem Weltkrieg eskaliert. Aber Angst sei keine Basis für Frieden, auch kein Grund, Frieden zu wollen. Drewermann: „Wenn ich keinen Krieg will, weil ich Angst vor dem Krieg habe, dann will ich lediglich diesen Krieg nicht, der mich erreichen kann...Wir müssen (aber prinzipiell) gegen Krieg sein, weil Krieg darin besteht, Menschen zum Morden zu präparieren... Das was die so genannten Gegner mit uns machen könnten, ist das Sekundäre. Was unsere eigenen Führer aus uns machen, um dahin zu kommen, dass wir tötungsbereit werden, ist das Schlimme.“ (S. 61) Hier zeigt sich in der Tat die Schwäche der Friedensbewegung (Angst war tatsächlich immer ein wichtiges Argument). Es zeigt sich aber hier auch die Schwäche des Autors. Er gibt vor, die „sogenannte“ Friedensbewegung zu beschreiben. Was soll das? Auch wenn seiner Meinung nach Angst nicht der Grund sein kann Frieden zu wollen, die ernsthafte Motivation der Friedensbewegten Frieden zu wollen in Abrede zu stellen, ist ein bisschen überheblich. Zu kritisieren ist auch, die Friedensbewegung als einen monolithischen Block zu beschreiben. Es gibt nicht die Friedensbewegung, ein gibt eine große Anzahl sehr unterschiedlicher Menschen und Organisationen, die Friedenspolitik und Friedensarbeit machen – mit sehr unterschiedlichen Weltbildern, sehr unterschiedlichen Motivationen, auch sehr unterschiedlichen Friedensbegriffen. Hier macht sich Drewermann die Analyse zu einfach und verzerrt die Realität. Und hätte er sich mal das Grundsatzprogramm zum Beispiel der DFG-VK angesehen („Krieg ist immer ein Verbrechen!“), er hätte sich die Augen reiben und erkennen müssen: Da ist ein Teil der Friedensbewegung, der denkt und argumentiert genauso wie ich. Dennoch ist die Analyse Drewermanns nicht völlig aus der Luft gegriffen, nicht ganz daneben: Das was sich in den 80er Jahren als Friedensbewegung konstituierte, war nicht in Gänze wirklicher Pazifismus. Mit dem Blick auf den Teil der Friedensbewegung, der sich im grünen Spektrum manifestierte, klagt Drewermann an: „Die Akzeptanz des Krieges ist indessen offensichtlich problemlos bei denselben Leuten einzuholen, wenn es militärische Überlegenheit besteht, die uns selber unerreichbar macht. Wenn wir Krieg wie im Kosovo oder wie in Afghanistan führen, indem wir aus zwanzig Kilometern Höhe Bomben ausklinken, ohne das irgendeine Flugabwehr uns vom Himmel holen könnte, dann ist es möglich, dass sich auch deutsche Piloten – sogar Frauen – daran beteiligen.“ (S. 62)

Die Bedingungen der Möglichkeit, Krieg zu führen: Krieg werde ein rein technischer Vorgang – „wie Brot backen und Schuhe putzen“ – , alles sei funktionalisiert und vor allem von jeder Endhandlung abgekoppelt: „Was dabei herauskommt, ist zweifellos ungeheuerlich, aber man darf es uns nicht zeigen... Die reine Funktionalisierung des Soldatseins ist tatsächlich gegründet auf mutwillige Blindheit, aber diese Blindheit wird zur Bedingung der allgemeinen Akzeptanz des Militärs. (Siehe dazu auch die Titelbeiträge der letzten Zivilcourage, 2/2002: „Vom Fernsehbild zum Feindbild – Journalismus zwischen Kriegspropaganda und Friedenskultur“). Was heißt das positiv für die Arbeit der Friedensbewegung? Friedenspolitik ist nicht, sich mit der aktuellen Politik zu beschäftigen (Ist es nicht zu gefährlich für deutsche Soldaten in Afghanistan einzumarschieren? Werden die Amerikaner dort die Fehler der Russen wiederholen?), „Humanität“ sollte das Thema der Friedensbewegung sein: „Eben weil heute alle Menschen in einem Boot (dem Raumschiff Erde) sitzen, können wir nur gemeinsam miteinander leben oder gemeinsam im Kampf gegeneinander untergehen... Frieden ist in den komplexen Strukturen des Zusammenlebens die Basisvoraussetzung des Überlebens.“ Ein positiver und weitgefasster Friedensbegriff ist notwendig, eine Politik der Zukunftsfähigkeit. Ein wichtiger Anstoß, der jedoch für Teile der Friedensbewegung nicht neu ist. Auch hier zeigt sich eine eher oberflächliche Beobachtung des Autors. Den großen IPPNW-Kongress Ende 2000 in Berlin („Eine Friedenskultur schaffen!“) und die viele  Publikationen  z.B. von Horst-Eberhard Richter scheint der Autor nicht zu kennen oder nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Dennoch ein spannendes Buch, das sich auch mit vielen Einzelaspekten von Krieg und Gewalt auseinandersetzt und interessante Fragestellungen und Gedanken entwickelt – zum Beispiel zu den Unterthemen: Terror, der 11. September, der Islam, der Nahost-Konflikt, Männer und Krieg, Kriegsdienstverweigerung, Weltfrieden, KDV ... Die Quintessens tut unserer – in letzter Zeit doch sehr geschundene – pazifistischen Seele gut: „Der Pazifismus ist nicht die Utopie von Blauäugigen und ewige Gestrigen, er war und ist die Antizipation der einzigen Form von Zukunft, die uns Menschen auf dieser Erde beschieden ist. Entweder wir lernen es, in Freiheit den Frieden wirklich zu wollen, oder wir werden uns die Notwendigkeiten des Stillhaltens, des Terrorfriedens, durch permanente Überwachung und durch das Diktat des jeweils Mächtigsten aufzwingen lassen müssen.“ (S. 65 f ) War da etwa ein Angst-Argument? Wie auch immer. Diese Frage und viele andere sollten wir in der Friedensbewegung mit Eugen Drewermann diskutieren. Ein Vortrags- und Gesprächsabend mit ihm wird sich lohnen und wird der Friedensarbeit vor Ort einen Schub versetzen. Also den Verlag anschreiben[3] und den Autor einladen! Und weiter auch den Dialog mit den Bundestagsabgeordneten suchen: „Krieg ist Krankheit, niemals Lösung!“ Sie dürfen – wie zum Beispiel Winni Nachtwei - aus ihrer Verantwortung nicht entlassen werden.

 



[1] Eugen Drewermann: Krieg ist Krankheit, keine Lösung. Eine neue Basis für den Frieden. Im Gespräch mit Jürgen Hoeren. Freiburg 2002.  190 Seiten.19.90 €

[2] Die deutschen Bischöfe: Gerechter Friede, 27.9.2000, Hg: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstraße 163, 53113 Bonn. Möglich: eine Veranstaltung mit kath. Organisationen und kath. Referenten über dieses Bischofswort

[3] Frau Steffan vom Herderverlag. Kontakt: Ulla Steffan, Tel. 0761/2717-224, Fax – 265, Mail: steffan@herder.de