Ein Bericht von Robert Hülsbusch (1994)
Ein konstruktiver Beitrag im Prozess der Normalisierung zwischen Polen und Deutschland
Erfahrungen
mit einer Städtepartnerschaft
"Wir haben die Vergangenheit nicht vergessen. Aber wir glauben fest an eine bessere Zukunft." Mit diesen Worten schloss Wojciech Stefaniak, Vorsitzender des Stadtrates in der polnischen Stadt Chodziez, seine Rede, die er im März 1992 aus Anlass des feierlichen Abschlusses einer Partnerschaft zwischen seiner Stadt und der Gemeinde Nottuln aus Nordrhein-Westfalen hielt. Der Nottulner Bürgermeister hatte gar als "Brautgeschenk" eine Glocke mitgebracht, die als Signalgeber viele Aufgaben übernehmen könnte. Aber - und dies war der größte Wunsch des Bürgermeisters - eines sollte die Glocke immer verkünden: "den Frieden und die Freundschaft zwischen den Menschen unserer Städte."
Unterzeichnet wurde dann die Urkunde:
"Der Bürgermeister und der Gemeindedirektor der
Gemeinde Nottuln in Deutschland und der Vorsitzende des Stadtrates und der Bürgermeister
der Stadt Chodziez in Polen erfüllen den Wunsch ihrer Bevölkerung und den
Beschluss der frei gewählten Ratsmitglieder, eine Partnerschaft zwischen
Chodziez und Nottuln zu begründen.
Beide Partnerstädte sind
- bemüht, einen konstruktiven Beitrag im Prozess der
Normalisierung der Beziehungen zwischen Polen und Deutschland zu leisten,
- bestrebt, daran mitzuwirken, die Beziehungen der Menschen in unseren beiden Ländern
zu verbessern,
- überzeugt, dass die Partnerschaft zwischen Nottuln und Chodziez zu einer
gegenseitigen Verständigung ihrer Bewohner führt und ein Gefühl der
Zusammengehörigkeit vermittelt.
Darum unterzeichnen und besiegeln sie heute diese Partnerschaftsurkunde.
Beide Partner unterstützen vor allem den Austausch ihrer Bürgerinnen
und Bürger auf kulturellen, sozialen, sportlichen und auch wirtschaftlichen
Gebieten. Durch einen intensiven Jugendaustausch soll der Grundstein für Völkerverständigung,
gute Nachbarschaft und partnerschaftliche Zusammenarbeit gelegt werden.
Beide Partner unternehmen alle Anstrengungen, um diesen für den Frieden
bedeutsamen Beschluss zum Erfolg zu verhelfen und damit der gemeinsamen Zukunft
Europas zu dienen.
Chodziez am 27. März 1992."
Hintergrund, Konzeption und Zielsetzung der Partnerschaft zwischen Chodziez und Nottuln, überhaupt einer Städtepartnerschaft zwischen Polen und Deutschen sind mit dieser Urkunde kurz und pointiert beschrieben.
Basis für einen dauerhaften Frieden
Der Weg der hier beschriebenen Städtepartnerschaft war lang und häufig nicht einfach. Viele Steine mussten ausgeräumt werden: 1984 - ein Jahr nach der endgültigen Realisierung des "Nato-Doppel-Beschlusses" - entstand in der Friedensinitiative Nottuln im Rahmen einer grundlegenden Neubestimmung der Funktion und Zielsetzung von Friedensarbeit eine kleine Arbeitsgruppe "Partnerschaft mit Osteuropa". Geleitet wurde die AG von den Gedanken Carl Friedrich von Weizsäckers, dass nicht Abrüstung Frieden bringt, sondern Frieden die Voraussetzung von Abrüstung ist. Ein dauerhafter Frieden ohne die lebensgefährlichen Bedrohungen des atomaren Abschreckungssystems kann nur von unten entstehen. Dahinter steckte eine Vision: Wenn sich die Menschen kennen lernen, diese miteinander reden und kontinuierliche Kontakte entwickeln, ist die Chance zumindest größer, dass es nicht zu militärischen Austragungen von Konflikten und Spannungen kommt.
Zu der damaligen Zeit gab es kaum diese wichtigen Brücken
nach Osteuropa. So kam 1978 der Deutsche Städtetag bei einer Umfrage unter
seinen Mitgliedern zu dem Ergebnis, dass fast 800 Städte und Gemeinden in der
Bundesrepublik "Freundschaften" und "Partnerschaften" vor
allem mit englischen und französischen Städten unterhielten. Nur 13 waren nach
Osteuropa geknüpft. Auch 10 Jahre später war dieses Verhältnis noch nicht
anders. 1987 standen den rund 2200 weltweiten Partnerschaften
bundesrepublikanischer Kommunen vor allem mit Städten der westlichen Hemisphäre
und Dritte-Welt-Ländern nur 30 Partnerschaften mit Osteuropa gegenüber. Zu
Polen waren es nur 5.1) 1986 wandte sich die Friedensinitiative Nottuln zum
ersten Mal an den Gemeinderat, um eine Partnerschaft mit einer Stadt in
Osteuropa anzuregen. Die Initiative wurde zwar grundsätzlich
Zunächst Vorbehalte und viele Fragen
begrüßt (Was sollte auch gegen ein so "edles" Engagement wie es der Versuch darstellte, den Ost-West-Gegensatz reduzieren zu helfen, ins Feld geführt werden?) Aber es gab auch Vorbehalte und Fragen Ist es überhaupt möglich, eine echte Partnerschaft zwischen den Bürgern der beiden Städte herzustellen, oder wird es vom Osten her eine Partnerschaft der Bürokraten und Politfunktionäre? Wird mit so einer Partnerschaft nicht gar das politische System des Osten unterstützt? In dem schon bestehenden Komitee für Städtepartnerschaft der Gemeinde Nottuln 2) standen diese Bedenken im Vordergrund. Hinzu kam die Sorge, dass eine 2. Städtepartnerschaft die Kapazitäten einer so kleinen Gemeinde (15.000 Einwohner) übersteige. Deutlich wurden jedoch auch die starken Bedenken gegen die Initiatoren einer solchen Städtepartnerschaft. Mehr verdeckt als offen wurde der Friedensinitiative vorgeworfen, hier ein neues politisches Betätigungsfeld zu suchen. Die Idee der Partnerschaft werde hier funktionalisiert. Dies wollte das Komitee für Städtepartnerschaft nicht unterstützen. Diese erste "Niederlage" löste bei der Friedensinitiative Nottuln keine Resignation aus. Im Gegenteil: Es wurde deutlich, dass gleich zu Beginn eine neue Partnerschaft von vielen Organisationen getragen werden muss. So startete die Friedensinitiative eine große Werbeaktion bei den Nottulner Parteien, Kirchen und Vereine.3)
Nicht ohne Erfolg. Weitere Nottulner Organisationen, aber auch einzelne Bürger, zum Schluss selbst Mitglieder des schon bestehenden Partnerschaftskomitees erklärten ihre Bereitschaft, eine neue Partnerschaft zu unterstützen. Gleichzeitig informierte sich die FI über die schon bestehenden Städtepartnerschaften. Fast alle deutschen Städte, die Partnerschaften mit Osteuropa unterhielten, wurden angeschrieben. Das Ergebnis war mutmachend: Trotz des eisernen Vorhangs trugen diese Partnerschaften zum Kontakt und Austausch von Bürgern und hier besonders von Jugendgruppen bei. Eine erneute Initiative nach dieser - fast 2jährigen Arbeit - fand im Rat diesmal eine positivere Resonanz. Der Gemeinderat von Nottuln sprach sich für eine 2. Städtepartnerschaft aus. Nach z.T. heftigen Auseinandersetzungen entschied sich auch das Komitee für Städtepartnerschaft, eine Partnerschaft nach Osteuropa mitzuorganisieren. Das Komitee wurde umgebildet. In den neuen Fachbereich Osteuropa wurden gar 2 Mitglieder der Friedensinitiative gewählt. Die eigentliche Arbeit konnte beginnen. Deutlich war geworden: 1. Es ist unbedingt notwendig, schon in einem sehr frühen Stadium der Arbeit an einer Städtepartnerschaft mit Sachkompetenz und konkreter Zielvorstellung bei Bürgern und Vereinen um Unterstützung zu werben. 2. Es ist wichtig, schon sehr früh eine eigene überparteiliche und vom Rat unabhängige, aber durch diesen auch anerkannte und möglichst finanziell geförderte Organisation zu gründen.4)
Die Suche nach einer Partnerschaftsstadt
In den nächsten Wochen und Monaten beschäftigte sich das Partnerschaftskomitee ausführlich mit den historischen, politischen und geographischen Gegebenheiten in Osteuropa. In Zusammenarbeit mit der Deutsch-Polnischen Gesellschaft, mit Wissenschaftlern an der Universität Münster, aber auch im direkten Gespräch mit Vertretern einiger Städte, die bereits Partnerschaften nach Osteuropa unterhielten, wurden die Entwicklung und die konkrete Ausgestaltung einer Partnerschaft sorgfältig analysiert. Folgende Kriterien für die Institutionalisierung einer Städtepartnerschaft Ost und für die Auswahl einer Stadt wurden vom Komitee erarbeitet: Entfernung
* Sprache/Verständigung
* Vereinsstrukturen
* Landschaft und Umfeld
* Größe der Stadt
* Mentalität der Menschen dort
(Emotionale Nähe und Distanz).
Das Kriterium "Entfernung" veranlasste das
Komitee, gleich zu Beginn Städte aus der ehemaligen Sowjetunion auszuschließen.
Für eine kleine Gemeinde ist eine Partnerschaft mit russischen Städten kaum
realisierbar. Die Wahl fiel schnell auf eine Stadt in Polen. Im Vordergrund
stand dabei nicht mehr so sehr die Notwendigkeit, den Ost-West-Konflikt zu
entschärfen. Nach 1990 rückte dieser Aspekt in den Hintergrund. Mit der
Vereinigung wurde Polen wieder unser unmittelbare Nachbar. Versöhnung und (auch
deshalb) die Bereitschaft, durch partnerschaftliche und freundschaftliche
Kontakte beim Aufbau einer neuen Gesellschaft mitzuhelfen, sollten demonstriert
werden. Aber auch die heute noch bestehenden massiven Vorbehalte sowohl auf
polnischer als auch auf deutscher Seite gegen den jeweils anderen5) spielten
eine wichtige Entscheidung für die Wahl. Die
Entscheidung für Polen war gefallen. Die schwierige Auswahl einer konkreten
Stadt begann. Schon bestehende und dem Komitee bekannte Kontakte nach Polen
(Kirchenkontakte, persönliche Beziehungen, Aussiedler) wurden genutzt, um sich
über einige
Die ersten Kontakte
Städte näher zu informieren. Schließlich kamen 4
Städte in die nähere Auswahl. Kontakte wurden hergestellt. Eine kleine
Delegation des Komitees für Städtepartnerschaft brach zu zwei
Erkundungsfahrten auf, nachdem sie sich in diese polnischen Städte hatte
einladen lassen. Der Kontakt kam dabei häufig über die katholische Kirche in
Polen zustande. Ein unfassbarer herzlicher Empfang und großes Interesse empfing
die Nottulner Delegation in allen 4 Städten. Fast mussten schon die großen
Erwartungen der Gastgeber, besonders die an einer wirtschaftlichen Unterstützung,
gedämpft werden. Wieder zurück in Nottuln legte die Delegation dem Komitee
einen ausführlichen Bericht vor. Gemeinsam wurde eine
Stellungnahme als Entscheidungshilfe für den Rat erarbeitet. Die Präferenz
des Komitees wurde im Gemeinderat übernommen. Die Entscheidung, eine
Partnerschaft mit der polnischen Stadt Chodziez einzugehen, war gefallen. Die
eigentliche Aufbauarbeit begann - lange bevor die offizielle Verschwisterung
stattfand. Eine Delegation aus Chodziez wurde nach Nottuln eingeladen. Viele
persönliche Begegnungen zwischen den Aktiven in Nottuln und Chodziez führten
zu den ersten echten Freundschaften - eine Basis für die kommende
Partnerschaft. Das Komitee stellte mit Text, Bild und Film die neue
Partnerschaftsstadt in Vereinen und Schulen vor. Das Ergebnis: Die ersten
Vereine bekundeten ein konkretes Interesse an einem Austausch. Im Frühjahr 92
fuhr bereits die erste Schulklasse aus Nottuln nach Chodziez. Der Gegenbesuch
erfolgte im Sommer. Im Sommer 92 - die offizielle Urkunde war bereits
unterzeichnet - reiste ebenfalls das gesamte Nottulner Komitee nach Chodziez, um
den weiteren Verlauf der Partnerschaft mit dem dortigen Komitee zu besprechen.
Auch wenn die Vereinsstruktur in Chodziez sich erst langsam bildet, gibt es auch
dort schon viele Wünsche nach einem Austausch. Die Kontaktaufnahme zwischen den
Vereinen herzustellen, das ist die Aufgabe der beiden Komitees in Nottuln und
Chodziez. Die erste gemeinsame Sitzung der Partnerschaftsorganisationen eröffnete
die vielfältigen Möglichkeiten der Beziehungen zwischen
Investitionen in eine gemeinsam Zukunft
Nottuln und Chodziez. Viele Vereine und auch die Kirchen
werden miteinander Kontakte aufnehmen. Gemeinsame Kulturveranstaltungen
(Konzerte, Sportveranstaltungen usw.) sind geplant. Die Schulen in Nottuln und
Chodziez werden ihren Austausch intensivieren. Eine Adressenaustauschliste wird
jedem darüber hinaus auch private Kontakte ermöglichen (z.B. um in der jeweils
anderen Stadt Urlaub zu machen). Im November wird eine Abteilung der
Porzellanfabrik Chodziez in Nottuln erwartet. Im Rahmen des traditionellen
Martinimarktes wird sie ihre Produkte in Nottuln vorstellen und die Möglichkeiten
einer wirtschaftlichen Kooperation ausloten. Andere Handwerks- und auch
Landwirtschaftsbetriebe haben bereits ebenfalls ihr Interesse nach Austausch
bekundet. Von Nottuln aus ist - das große wirtschaftliche Gefälle zwischen
Ost- und Westeuropa im Auge - die materielle und personelle Unterstützung von
konkreten Projekten in der Partnerstadt anvisiert. Unterstützung wird Chodziez
überhaupt bei der Realisierung der Partnerschaft brauchen. Prinzip des
Austausches ist, dass der jeweilige Gastgeber Unterkünfte (in der Regel privat)
und Verpflegung stellt. Allein die Reisekosten müssen die Gäste tragen. Aber
auch diese sind für viele Bürger aus Chodziez zu groß. So wird das Nottulner
Komitee auch hier finanzielle Zuschüsse leisten müssen - eine Investition in
die gemeinsame Zukunft Europas. Erstaunlich ist, dass zwar zu Beginn - wie
vermutet - die gemeinsame, belastete Vergangenheit bei den Begegnungen eine große
Rolle spielte, aber diese schon - wenn auch nicht vergessen - nach kurzer Zeit
in den Hintergrund rückte. Der Blick ist auf die Zukunft gerichtet - auf die
beginnende Freundschaft zwischen Nottuln und Chodziez, auf eine friedliche und
gut nachbarschaftliche Beziehung zwischen Polen und Deutschland, auf das
"gemeinsame Haus Europa". Die Städtepartnerschaft Nottuln - Chodziez
wird dazu einen kleinen, bescheidenen Beitrag leisten.
1. Siehe Vogel, Ralph-Günther und Munier, Gerald:
Städtepartnerschaften mit Osteuropa. Der Feindbildpropaganda
das Fundament entziehen.; in Alternative Kommunalpolitik 2/87
S. 23 - 35
2. Seit 1984 unterhält Nottuln bereits eine Partnerschaft mit der
französischen Stadt St. Amand.
3. Sehr wichtig war in diesem Zusammenhang auch das Gespräch mit
den Vertriebenen in Nottuln. Auf einem gemeinsamen Frühschoppen
wurde das - für diese Gruppe - heikle Thema einer
Städtepartnerschaft mit Polen diskutiert. Der Ergebnis: Die
Mehrheit dieser Bürger grüßte eine Partnerschaft:
"Wir dürfen unseren Schmerz nicht auf die Jugend übertragen!"
4. Als Hilfe für die Planung der Arbeit ist nützlich: Die
"Checkliste zur Zeitabfolge wichtiger einzelner Arbeitsfelder
bei der Kontaktanbahnung"; in: Vogel, a.a.O.S. 27 ff
5. Diese wurden in Umfragen sehr deutlich. Siehe hierzu:
den
"Meinungsreport" in der Sendung "Report" vom 30.10.1990
(Bayrischer Rundfunk) und Kwiatkowski, Stanislaw: Das Ansehen
der BRD und anderer Staaten in der VR Polen: Die "Liebe" der
Polen zur BRD; in: Polen und wir; 4/89Seite 10 und 11.
Einige Beispiele: Gefragt, welche Staaten eine Gefahr für den
Weltfrieden darstellen, antworten 64 % der politischen Bürger:
die Bundesrepublik Deutschland. Gefragt, ob es in Zukunft
zwischen Polen und Deutschen ein Verhältnis geben kann,
vergleichbar mit der deutsch-französischen Freundschaft,
antworten 45 % der Deutschen mit "eher unwahrscheinlich" oder
"ganz und gar unwahrscheinlich".