Zu den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien

 

 

Nottuln, den 1.06.2003

 

 

An die MdB

Angelica Schwall-Düren

Winni Nachtwei

 

 

 

Liebe Angelica, lieber Winni

 

 

Zu Beginn des Jahres forderte Winni Nachtwei die Friedensbewegung auf, sich an der Diskussion um die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien zu beteiligen.  Der Wille war vorhanden, die Zeit und die Energie reichten dafür nicht aus. Zu sehr nahm uns das Anti-Kriegsengagement gegen den Irakkrieg in Anspruch. Erst jetzt finden wir und viele Organisationen aus der Friedensbewegung wieder Luft, uns mit grundsätzlichen Fragen der Friedens- und Sicherheitspolitik zu beschäftigen. Und schon liegen die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien auf dem Tisch. Immerhin – die Friedensbewegung, jetzt zusammengeschlossen in der „Kooperation für den Frieden“ hat sich vorgenommen, einen Alternativ-Entwurf zu erarbeiten und in diesem „Friedenspolitische Richtlinien“ zu skizzieren.

Doch vorab möchten wir schon einige Gedanken zu den Verteidigungspolitischen Richtlinien entwickeln.

 

Wir haben nicht die Sorge, dass die rotgrüne Regierung nun den grenzenlosen und unbedingten Kriegseinsatz deutscher Soldaten plant. Aber mit diesen neuen Richtlinien macht sie ihn möglich. Jeder Kampfeinsatz – überall und mit jedem Ziel (Schutz der Sicherheitsinteressen) – wird möglich. Zwar wird betont, dass BW-Einsätze multilateral sein sollen, d.h. mit Partnern auf VN-, EU- und NATO-Ebene geführt werden sollen. Aber dass kann uns nicht beruhigen. So ist z.B. zu bedenken, dass sich die NATO im Schatten der Entwicklung in den USA auf dem Weg zu einem Präventivkriegskonzept befindet. Will die Bundesregierung dies mittragen? Soll auch die Bundeswehr in diese Konzeption mit eingebunden werden? Noch ist die Präventivstrategie – schon mal beabsichtigt – nicht in die  neuen VPR  eingeflossen.

 

Auch wird darauf hingewiesen, dass man sich an das Völkerrecht orientieren will, aber z.B. das VN-Mandat als unabdingbare Voraussetzung jedes Bundeswehreinsatzes wird nicht festgelegt.

Die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien öffnen damit eine Tür, durch die spätere Regierungen – etwa die CDU, die sich uneingeschränkt hinter den Irakkrieg stellte – bequem durchgehen kann.

Und wo bleibt der Parlamentsvorbehalt für BW-Einsätze? Der hätte unbedingt in die Richtlinien gemusst.

 

Dass in den neuen Richtlinien die Wehrpflicht mit fadenscheinigen Gründen festgeschrieben wird, ist – nach den vorsichtigen Formulierungen im Koalitionsvertrag – ein mittlerer Skandal. Schade auch, dass im Focus der öffentlichen Berichterstattung nur die Wehrpflicht steht. Der Paradigmen-Wechsel – Bundeswehr als Einsatzarmee in der ganzen Welt mit unbegrenztem Auftrag – wird übergangen. Die von Rau geforderte Debatte über diese neuen Wege der Sicherheitspolitik findet nicht statt.

 

Wir sehen durchaus rote und grüne Positionen in dem Papier – ein umfassender Sicherheitsbegriff, der nicht nur auf militärische Gewalt setzt, ein Schwergewicht auf Prävention auch im zivilen Rahmen, Notwendigkeit von Abrüstung, eine Analyse der Gefahren, die auch andere Felder als die des internationalen Terrorismus einbezieht. Dennoch kommt gerade der letzte Punkt viel zu kurz. 

Die Bedrohung gehe vornehmlich von religiösem Extremismus und Fanatismus, im Verbund mit der weltweiten Reichweite des internationalen Terrorismus aus. Diese bedrohten die Errungenschaften moderner Zivilisationen.  Das ist erheblich zu kurz gesprungen.  Die Armut und die Unterentwicklung sind eine Bedrohung für die Welt und werden  in Zukunft noch eine größere Rolle spielen. Hier kann Militär keinen, überhaupt keinen Ansatz von Lösung bieten. Im Gegenteil: Die riesigen Ressourcen, die für Militär ausgeben, sind Teil dieses Bedrohungspotenzials. Dies gilt es stärker zu gewichten. Hier müssen zivile Strategien der Konfliktlösung greifen. Wenn wir hier nicht aktiv werden, können wir so viel Militär aufbauen, wie wir wollen. Auf den großen Crash – nicht nur der Kulturen – steuern wir zu. Keiner kann im Ernst glauben, dass das Auseinanderklaffen der wirtschaftlichen Schere zwischen arm und reich – zwischen Nord und Süd – in den nächsten Jahren ohne Konsequenzen für den Weltfrieden so weiter gehen wird. Keiner kann im Ernst glauben, dass Milliarden Menschen weiter mit einem Euro am Tag sich begnügen werden und zusehen, wie andere in Reichtum und Überfluss leben. Dies zu ändern, braucht man keine neuen VPR, erst recht nicht diese. Dies zu ändern, verlangt nach einer gerechten Weltwirtschaftsordnung, die allen Völkern eine Entwicklungschance ermöglicht. Aber nicht mal die Erfüllung der UNO-Forderung nach einer Entwicklungshilfe von 0,7 % des Bruttosozialproduktes wird die BRD in den nächsten Jahren leisten. Dafür gibt es im Bundestag keine Mehrheit und keine Lobby – so Angelica Schwall-Düren in einem Gespräch in Nottuln in der Alten Amtmannei.

 

Der 11. September wird immer wieder zitiert. Der 11. September hat vor allem eines gezeigt: Mit Militär lässt sich keine Sicherheit schaffen. Mit den einfachsten Mittel – von Militär nicht zu bekämpfen – gingen die Terroristen vor und begannen ihren Massenmord.

 

Dies gilt auch für die zweite große Bedrohung, die in den neuen VPR festgehalten ist – die Proliferation. Auch diese ist nicht militärisch zu bekämpfen, sondern in erster Linie durch internationale Vereinbarungen und Verträge, die scharf kontrolliert und das Vergehen dagegen scharf sanktioniert wird. Abrüstung ist die Antwort auf diese Gefahr.

 

Der militärische „Kampf gegen den Terror“, an dem sich auch die Bundeswehr beteiligen soll, hat vor allem eins gebracht, dass in vielen Teilen der Welt die Menschenrechte auf der Strecke bleiben. Die „Koalition gegen den Terror“ mit Russland und China und vielen anderen Staaten definiert „Terror“ und sorgt dafür, dass alle Proteste gegen Menschenrechtsverletzungen verstummen. So kämpft Russland, dass in diesem Zusammenhang in der VPR ausdrücklich erwähnt wird, in Tschetschenien gegen den internationalen Terrorismus. Gott sei den Russen dank!

 

Und noch eins ist uns wichtig: Die Bundesrepublik ist nicht nur Objekt der Bedrohung durch den Terrorismus, sondern als westliche Industrienation aktiver Teil des Problems. Die Kriege gegen den Irak und gegen Afghanistan waren Kriege, die von den westlichen Staaten ausgingen, die – in erster Linie – um Machteinfluss in ölreichen Gebieten geführt wurden. Hier ging die Bedrohung vor allem von den reichen Industriestaaten aus. Wo bleibt diese Bedrohung in der Bedrohungsanalyse. Allen voran sind die USA zu einer unbegrenzten Kriegsführungsstrategie übergegangen. Diese bedroht den Weltfrieden nachhaltig. Wir werden es noch erleben. Wo bleiben diese Bedrohungen in den VPR? 

 

Auch dem inneren Einsatz der Bundeswehr wird die Tür weit geöffnet. Spätere Regierungen, die dies immer schon wollten, werden ein leichtes Spiel haben.

 

Insgesamt wird der Einsatz militärischer Gewalt als Mittel der Außen- und Sicherheitspolitik mit diesen Richtlinien forciert. Der rote Verteidigungsminister schließt damit die Entwicklung, die unter Rühe begann und die wir – gemeinsam – immer wieder kritisiert haben, „erfolgreich“ ab.  Bleibt nun noch, das Grundgesetz zu ändern!  Mit den neuen Richtlinien für den Einsatz der Bundeswehr – geografisch und bezüglich der Intensität unbegrenzt – stimmt dies nun absolut nicht mehr überein. Wann gibt es die Änderung?

 

Die Friedensbewegung und mit ihr die Friedensinitiative wird sich nachhaltig und weiter engagiert gegen diese Entwicklung einsetzen. Dieser Politik, die zunehmend auf militärische Gewalt setzt, die Krieg als normales Mittel der Politik ansieht, die es aber vor allem unterlässt, an den grundsätzlichen Ursachen von Unterentwicklung und Armut, von Terrorismus und Gewalt anzusetzen, und die es auch unterlässt, die Bedrohungen aufzuzeigen, die von den westlichen Industrienationen ausgehen,  dieser Politik zivile und zukunftsfähige Alternativen entgegenzuhalten, werden wir nicht müde.

 

 

Für die Friedensinitiative Nottuln

Robert Hülsbusch